Die Staatsidee Heinrich von Sybels in den Wandlungen der Reichsgründungszeit 1862/71
Hellmut Seier
Vielfach wurden hinsichtlich der Entwicklung des Liberalismus die Jahre der Reichsgründung als tiefe Zäsur begriffen, in deren Folge der Liberalismus seinen Idealen untreu wurde. Um der Frage nach der tatsächlichen Spannung zwischen der gemäßigt liberalen Staatsidee und dem praktisch-politischen Wirken ihrer Träger auf biografischer Grundlage nachzugehen, wird mit Heinrich von Sybel ein kleindeutscher Historiker in den Fokus gerückt, dessen politische Wandlung in den sechziger Jahren in einzigartiger Spannweite binnen dreier Jahre aus der parlamentarischen Oppositionsführung zum äußersten rechten Flügel der nationalliberalen Partei führte. Zunächst wird ausgehend von Sybels Vorlesung über Politik von 1864/1865 seine Staatsidee dargestellt. Anschließend fasst Seier das praktisch-politische Wirken und Denken Sybels von 1862 bis 1871 ins Auge, um die für die politische Konzeption entscheidenden Einzelelemente von Phase zu Phase mit den theoretischen Grundlagen zu konfrontieren. Hierbei kommt konkreten Verfassungsproblemen wie Budgetrecht, Ministerverantwortlichkeit oder Heeresstärke dasselbe Gewicht zu wie den großen Fragen nach Parlamentarismus, Machtbegriff oder nationalem Ziel.