Die Vielfalt der Bilder und die eine Wahrheit
Die Staatlichkeit Indiens in der deutschsprachigen Wahrnehmung (1500–1700)
Antje Flüchter
Seit dem 19. Jahrhundert sieht sich die westliche Welt meist den anderen Weltregionen als überlegen an. Dies traf lange auch auf das moderne Indien zu, das vorrangig als armes ›Entwicklungsland‹ gesehen wurde. In der Vormoderne war das anders: Indien war als Schatzkästchen ein europäischer Sehnsuchtsort, wo Gewürze, Edelsteine und andere Wunder lockten. In den ersten 250 Jahren, nachdem Vasco da Gama den Seeweg nach Indien gefunden hatte, trafen europäische Reisende in Indien auf mächtige Reiche; vor allem ist hier an das islamische Mogulreich zu denken, aber auch die Territorien der Malabarküste oder die Sultanate im Landesinneren stellten wichtige Machtfaktoren dar. Die Europäer, seien es Diplomaten, Kaufleute oder Missionare, staunten nicht nur, sondern sie mussten sich meist an indische Gewohnheiten und Sitten anpassen. Die vorliegende Arbeit zeichnet die Beschreibungs- und Umschreibungsprozesse der deutschsprachigen Indienwahrnehmung vom 16. Jahrhundert bis zum Übergang zur Moderne nach; sie untersucht die Wissensproduktion von Reiseberichten über Kompilationen bis in Enzyklopädien. Thematisch wurden Schwerpunkte aus dem herrschaftlichen Feld gewählt (Hof & Diplomatie, Erbfolge, Krieg & Militärorganisation, Religionspolitik, Recht). Während der moderne Staat vielfach als europäischer Exportschlager gilt, werden in dieser Arbeit seine verflechtungsgeschichtlichen Dimensionen am Beispiel der Indienwahrnehmung ausgeleuchtet.