Digitale Identitäten
Der Kern digitalen Handelns im Spannungsfeld von Imagination und Realität
Stephan Humer
Das Digitale breitet sich aus, es wird digitalisiert, was digitalisierbar ist – auch die eigene Identität bleibt davon nicht verschont. Damit kommt schnell die übergeordnete Frage auf, wie digital unsere Identität mittlerweile geworden ist. Warum ist sie in vielen Bereichen überhaupt digital geworden? Und wer hat die Kontrolle? „Digitale Identitäten“ ist das Ergebnis eines sozialwissenschaftlichen Forschungsprojektes, welches erstmals opulent aufzeigt, wie und in welchem Maße individuelle und kollektive Identitäten von der Digitalisierung beeinflusst werden. Biometrie in den Pässen, die EU-weite Vorratsdatenspeicherung oder die Übermittlung zahlreicher Fluggastdaten an die USA – dies sind nur drei Beispiele für den Wechsel vom freien zum kontrollierten Netz, von der anarchisch-dezentralen Unzerstörbarkeit eines nuklearangriffresistenten Datenverbunds hin zu einer Regulierung, die tief ins Detail geht und im Kern stets unsere Identität betrifft. Und spätestens bei der Frage nach dem Ende dieses Wandels, nach der Wirkung und den Folgen wird schnell klar, dass vielen Menschen nicht bewusst ist, wie wichtig ihre digitale Identität heutzutage ist.
„Digitale Identitäten“ bewegt sich zwischen Manfred Faßlers „Mediale Aktion“ und den „Technischen Schriften“ Friedrich Kittlers und geht gleichzeitig darüber hinaus. Stephan Humer entwirft, ausgehend vom digital-technischen State of the Art, eine genuin soziologische, den unmittelbaren Lebensalltag und die selbstverständliche Lebenswelt betreffende Sicht auf die fortgeschrittene Medientechnologie, dabei Foucaults Mikrophysik der Macht aufnehmend und erweiternd, so daß Anhaltspunkte entstehen können, diesen neuen Vergesellschaftungsbereich der digitalen Mediation und Medialität in seiner hybriden Öffentlichkeitsform als das auszuweisen, was er ist: eine weitere Gestalt allgemeiner Öffentlichkeit, eine weitere Gestalt sozialisierender Kräfte und Regeln, eine weitere Gestalt der Ermöglichung negativer und positiver Freiheit – wie auch des Freiheitsentzugs und der Kontrolle. Stephan Humers erklärtes Ziel, zur öffentlichen Bewirtschaftung der Computertechnologie als Interfacekultur beizutragen (Faßler), ist mehr als eingelöst worden; sie ist gelungen. Die Arbeit spricht sowohl Wissenschaftler als auch User an und kann als erstes Grundlagenwerk für die Bewältigung digitaler Herausforderungen im Bereich des Identitätsmanagements jenseits eines technikzentrierten Tunnelblicks dienen.
„Digitale Identitäten“ wurde sowohl für den Ernst-Reuter-Preis der Freien Universität Berlin als auch für den Dissertationspreis der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) nominiert