Eduard Bernstein oder: Die Freiheit des Andersdenkenden
Tom Strohschneider
Von der »linken« Kritik wurde er als Verräter diffamiert, von »rechten« Sozialdemokraten wurde er vereinnahmt und ungelesen in die Ahnengalerie gestellt. Dabei war Eduard Bernstein einer der großen, von Marx her kommenden Sozialdemokraten. Sein theoretisches und programmatisches Oeuvre ist zu seinen Lebzeiten nie als ein »geschlossenes Denksystem« formuliert worden. Das hätte ihm wohl auch nicht behagt. Mehr noch aber war er durch die Umstände davon abgehalten: länger als kaum ein Sozialdemokrat im Exil, dort in London in einer anderen politischen und ökonomischen Welt sich orientierend, zurück in Deutschland noch lange mit dem Echo des »Revisionismusstreits« kämpfend. Seine Überlegungen zu einer sozialistischen Reformpolitik sind keine Folie, die man nach Belieben verwenden könnte, um damit »richtige Wege« auf seine eigenen Landkarten einzuzeichnen. Aber Bernsteins Arbeit wohnt eine Haltung inne, die der Suche nach linken Pfaden der Veränderung heute mitunter zu fehlen scheint, jene Lust an der Arbeit an den Widersprüchen, die es zu politisieren statt zuzuschütten gilt.