Elsass-Lothringen als juristisches Laboratorium
Martin Löhnig
Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 annektierte
das neugegründete Deutsche Kaiserreich im Frankfurter Frieden
Teile Ostfrankreichs, nämlich den überwiegenden Teil der beiden
elsässischen Départements und ungefähr die Nordhälfte Lothringens
als „Reichsland Elsaß-Lothringen“. Dadurch vergrößerte sich nicht
nur der räumliche Geltungs-bereich des französischen Rechts in
diesem Reich, sondern es wurde überdies auch die gesamte zu
diesem Zeitpunkt geltende französische Rechtsordnung gleichsam
importiert. Im Zuge des inneren Ausbaus des Kaiserreichs, zu
dem eine breit angelegte Rechtsvereinheitlichung gehörte, traten
maßgebliche Reichsgesetze wie die Reichsjustizgesetze (1877) oder
Bürgerliches Gesetzbuch und Handelsgesetzbuch (1900) auch im
sogenannten „Reichsland“ in Kraft, ohne daß jedoch die gesamte
französische Rechtordnung dort außer Kraft gesetzt worden wäre.
Jenseits verheerender Kriege erscheinen die von Deutschland 1871
annektierten und 1918 zurückübertragenen Gebiete Frankreichs
als Regionen, in denen französisches und deutsches Recht in einen
besonders engen Austausch miteinander getreten sind, sei es auf
der Ebene des geltenden Normbestands, sei es auf der Ebene der
alltäglichen Rechtsanwendung.