Erzählen im Umbruch
Narration 1770–1810. Texte, Formen, Kontexte
Rainer Godel, Matthias Löwe
Das Wezel-Jahrbuch 12/13 ist als Themenheft konzipiert. Es beschäftigt sich mit dem rasanten Bedeutungszuwachs, den narrative Vermittlungstechniken als Bestandteil literarischer Sinnerzeugung in der Spätaufklärung, Weimarer Klassik und Frühromantik erfahren. Über den textnahen Blick auf die Erzählverfahren werden dabei Kontextbezüge zu den ideen- und diskursgeschichtlichen Umbrüchen um 1800 hergestellt. Die einzelnen Beiträge gehen der Frage nach, wie sich ’narrative Anarchie‘ unter den Bedingungen diskursiver Renormierung in literarischen Texten der Umbruchzeit zwischen 1770 und 1810 neu aufstellt: Wie bildet sich das prekäre Verhältnis von methodenbezogener Anleitung zum Selbstdenken und der normativen Suche nach der wahren Erkenntnis in literarischen Formen ab? In den Blick genommen wird der genuin literarische Umgang mit der spätaufklärerischen Krise des Wahren und des Guten, also mit den Erfahrungen von Kontingenz und Normenverlust. Gerade anhand der narrativen Transformationsphase am Beginn der Moderne lassen sich instruktive Aufschlüsse über die Handhabe dieser bis heute virulenten Probleme gewinnen: Bei den zahlreichen neuen Formen narrativ erzeugter Mehrdeutigkeit handelt es sich nämlich nicht selten um die unabschließbare literarische Suche nach einem Mittelweg jenseits der Dekonstruktion oder Dogmatisierung fester Normen und Werte.
Aus dem Inhalt: G. Berg: Tableau humain. Die Tabelle als Narrativ der Anthropologie um 1800 – M. Löwe: Über verschiedene Modi literarischer Mehrdeutigkeit in den Fassungen von Goethes Werther – J. Heinz: Beziehungsmodelle und Erzählformen im Umbruch – B. Specht: Zum Funktions- und Statuswandel poetischer Mehrdeutigkeit zwischen Aufklärung und Goethezeit – H. Tausch: Ein Versuch über Wilhelm Meisters Lehrjahre und die alchimistische Kraft der Assoziation – M. Bickenbach: Die Enttäuschung des Lesers als Autonomieästhetik in Ludwig Tiecks Peter Lebrecht – I. Uhlig: Zum Verzicht auf Finalität in Ästhetik und Erzählung bei Novalis – L. Stockinger: Christoph Martin Wielands Agathodämon – R. Godel: Nichtwissen in Clemens Brentanos Godwi – M. Engel: Symbolik und Symboldeutung in Goethes Wahlverwandtschaften – D. Uhlmann: Narrative und visuelle Konfigurationen in E.T.A. Hoffmanns Klein Zaches.