Geheim! Das eiserne Problem des Sozialismus
Ukrainisches Erz zum hohen Preis
Rolf Junghanns
Viel verausgabte Mühe ohne greifbares Ergebnis – wenn wir in unserem Buch über das BAK Kriwoi Rog berichten, können wir nicht das vermelden, was man nach fast siebenjähriger Bautätigkeit gern stolz verkündet hätte. Viele Tausende Beteiligte aus fünf Ländern – angefangen von Ministern und Direktoren über Bauarbeiter, Monteure, Ingenieure, Arbeiter in den Zulieferbetrieben, Kraftfahrer, Büroangestellte, Vermesser, Dolmetscher bis hin zu Köchen, Wachmännern und Dienstleistungspersonal … – haben viel Energie in dieses Werk gesteckt, mancher hat seine Kraft voll verausgabt, einigen unserer Kollegen hat diese Arbeit selbst das Leben gekostet. All die Mühen führten bis heute nicht zum Ziel. Aber trotzdem sind viele interessante Fakten und Geschehnisse zu berichten.
Da ist natürlich das Kombinat selbst vorzustellen – seine Zweckbestimmung, seine Dimensionen und die von uns und unseren Kollegen errichteten Bauobjekte. Neben der Herausforderung durch die Größe und Kompliziertheit der damaligen Aufgabe erinnern sich die meisten von uns gern an die Zusammenarbeit mit den Bauarbeiterkollegen aus fünf Ländern und an die Begegnungen mit den Menschen der Sowjetunion und speziell der Ukraine.
Die Realisierung des Vorhabens fiel in eine bewegte Zeit – die Zeit der Perestroika, der politischen Wende und der Krise in Osteuropa. Die Menschen, die auf der Baustelle des BAK Kriwoi Rog und in den Zulieferbetrieben arbeiteten, durchlebten diese Zeit mit unterschiedlichen Hoffnungen und Enttäuschungen, jeder nahm sie auf seine Weise wahr. Die geschichtlichen Prozesse dieser Zeit führten erst zum Start dieses Vorhabens und schließlich zum Abbruch der Bauarbeiten und zur Entwertung der Arbeit Zehntausender Menschen. Das Nachdenken über diese Zeitereignisse macht einen wesentlichen Teil dieses Buches aus. Die Beteiligten versuchten, Antworten zu finden auf die wesentlichen Fragen des Vorhabens:
Wie kam es zu dem Vorhaben ‚BAK‘? Das Vorhaben galt – für sich allein betrachtet – unter den mehr oder weniger Eingeweihten als wirtschaftlich ungerechtfertigt, wenn nicht als sinnlos – warum wurde es trotzdem in Angriff genommen? Hatte das Vorhaben überhaupt eine Berechtigung? Wie wurde das Vorhaben realisiert in einer Zeit der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der DDR, der UdSSR und der anderen sozialistischen Länder? Das Vorhaben war deklariert als Integrationsvorhaben des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), der zum Zeitpunkt des Vorhabensstarts dreieinhalb Jahrzehnte bestand – wie gestaltete sich der Rahmen der Realisierung des Vorhabens? Wie wirkten die Reformprozesse der Perestroika auf das Vorhaben ein? Wie die politische Wende in Osteuropa? Unter welchen Bedingungen wurde das Projekt nach der Vereinigung der deutschen Teilstaaten weitergeführt? Die deutsche Beteiligung am Vorhaben wurde in Sommer 1992 durch die Bundesregierung eingestellt – war der Abbruch gerechtfertigt?
Am Buch mitgeschrieben haben frühere Beteiligte mit einer unterschiedlichen Perspektive auf das Vorhaben – Arbeiter, Angestellte und Ingenieure von der Baustelle und von Zulieferbetrieben, frühere Direktoren und Verantwortliche aus zentralen Leitungsgremien – Männer und Frauen – Ostdeutsche und Westdeutsche, Ukrainer und Tschechen. Vorgegeben war ihnen lediglich die Verantwortlichkeit für den eigenen Text und die realitäts-treue Darstellung der Fakten; die Wertung der Dinge stand jedem frei. Durch ihre unterschiedlichen Einblicke in die Hintergründe des Vorhabens und ihre verschiedenen Sichtweisen ergeben sich Berichte verschiedener Bandbreite und auch konträre Aussagen.
Viele der früheren Baubeteiligten haben seit Abschluss ihres Einsatzes nichts mehr vom BAK Kriwoi Rog gehört. So wollen wir hier auch Antwort geben auf die Fragen: Wie ging es nach dem deutschen Baustopp weiter auf der Baustelle? Wie steht es heute um das BAK Kriwoi Rog? Hat es eine Perspektive?
Zwei Anmerkungen seien vorausgeschickt. Trotz des Umfangs des Buches konnten wir nicht alle besonders bemerkenswerten und ungewöhnlichen Dinge aufschreiben; viele große Leistungen, die bei der Errichtung des Kombinats vollbracht wurden, müssen unerwähnt bleiben. Und trotz all der angeschnittenen historischen, wirtschaftlichen und fachlichen Fragen und angeführten Daten kann und soll dieses Buch keine wissenschaftliche Abhandlung sein, deren Fakten und Zahlen völlig widerspruchsfrei und nachprüfbar sind. Zur Erarbeitung eines solchen Werkes fehlten uns zum einen die entsprechenden finanziellen Voraussetzungen und Zeitressourcen, der Zugang zu wichtigen Archiven und die Bereitschaft einiger der früher maßgeblichen Beteiligten zur Mitarbeit. Manche Kennzahlen waren einfach auch im Fluss oder wurden nie genau erfasst. Zum anderen sind die meisten unserer Mitautoren doch zu sehr Nostalgiker ihres Vorhabens, um objektiv-distanziert urteilen zu können. Wichtiger war uns vielmehr, die jetzt schon immer mehr schwindenden Erinnerungen an dieses ungewöhnliche Bauvorhaben festzuhalten und zu vermitteln und dabei lebendig zu zeigen, dass Eisenerz ein interessanter Stoff ist, der nicht nur zur Eisengewinnung taugt, sondern auf dem sich auch gute Kameradschaft und beständige Freundschaft gründen lassen. Und wichtig ist uns auch, mit diesem Buch unseren früheren ukrainischen Kollegen am BAK in Dolinskaja ein Zeichen der Ermutigung für die Fertigstellung ihres Bergbau- und Aufbereitungskombinates zu geben.