Gehen – kulturwissenschaftlich
Erkundungen zu alltäglichen Praktiken
Konrad J. Kuhn
Gehen sei – so ist in regelmäßigen Abständen aus Zeitungen oder Fernsehsendungen, in Ratgeberbüchern oder von Fitness-Websites zu vernehmen – nicht nur die natürlichste, sondern auch die gesündeste und zudem nachhaltigste Fortbewegungsart. Der Mensch sei evolutionär zum Gehen geboren, sein Körper für ein Zu-Fuß-Gehen regelrecht konditioniert. Gehen muss allerdings aufwändig gelernt werden und als hochkomplexe Körperpraxis ist es überaus voraussetzungsreich, woran uns nicht zuletzt immer wieder Kleinkinder mit ihren ersten Schritten erinnern, was wir aber auch an den Gehversuchen von Robotern sehen, deren Programmierung offenbar keineswegs einfach ist. Rasch ist jeweils auch geschrieben, Menschen seien seit Jahrtausenden zu Fuß unterwegs gewesen; als marschierende Soldat:innen, als ihre Tiere begleitende HirtInnen, als wandernde Handwerksgesellen, als umherziehende Händler:innen, Erholung suchende Wanderer:innen, als pilgernde Gläubige oder als städtische FlaneurInnen. Gehen als historischer Normalfall also, der erst in den letzten hundert Jahren angesichts motorisierter und fossil betriebener Mobilität zur etwa in Städten bedrängten Ausnahme geworden sei. Wenn wir (wieder?) mehr gehen würden, dann wäre die Welt nicht nur ökologischer, sondern vielleicht ließe sich auch die Klimakatastrophe abwenden oder zumindest mildern. Aber auch individuell ginge es uns dann bald besser, wenn wir den langen Listen der Vorteile des Gehens glauben wollen: es trainiere Körper und Geist, der dafür notwendige vollautomatisierte Bewegungsablauf von An- und Entspannung der Muskeln wirke sich positiv auf die Denkleistung aus und verlängere nichts weniger als das Leben selbst – allerdings nur, wenn täglich 8.000 bis 10.000 Schritte zurückgelegt werden.