Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren.
Die Überlagerung des deutschen Strafprozeßrechts durch das Europäische Gemeinschaftsrecht, dargestellt anhand ausgewählter Problemfälle.
Jens Jokisch
Während die Einwirkungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf das materielle Strafrecht in der neueren Literatur immer stärker Berücksichtigung finden, sind die Auswirkungen auf das Prozeßrecht bislang kaum erörtert. In der vorliegenden Arbeit legt der Verfasser dar, daß auch das Strafprozeßrecht umfangreichen Modifizierungen unterliegt. Auf der Grundlage der Einflüsse auf das materielle Strafrecht und das Prozeßrecht anderer Verfahrensarten erarbeitet er konkrete Vorgaben, die bei der Durchführung von Strafverfahren mit gemeinschaftsrechtlichem Bezug zu beachten sind. Nach der dogmatischen Herleitung von Art und Umfang der gemeinschaftsrechtlichen Beeinflussung stellt der Verfasser deren Auswirkungen anhand praktischer Beispiele dar.
Zunächst untersucht er, ob eine Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen mit der Verpflichtung zum Schutz der Gemeinschaftsrechtsordnung vereinbar ist. Er kommt zu dem Ergebnis, daß aus Gründen des effet utile der Begriff des „öffentlichen Interesses“ bei §§ 153, 153a StPO gemeinschaftsrechtskonform ausgelegt werden muß. Weiterhin ist seiner Ansicht nach die Anwendbarkeit des § 153c StPO erheblich eingeschränkt. Daran anschließend analysiert der Verfasser, wie sich das Vorlageverfahren des Art. 234 EGV mit den Besonderheiten des Strafverfahrens vereinbaren läßt und macht Lösungsvorschläge für die dabei existierenden Probleme.
Abschließend untersucht der Autor, ob die Durchbrechung der Rechtskraft eines Strafurteils deshalb geboten sein kann, weil es dem Gemeinschaftsrecht widerspricht. Er kommt zu dem Ergebnis, daß die Rechtskraft einer gemeinschaftsrechtswidrigen strafrechtlichen Verurteilung einen Vertragsverstoß darstellen würde und daher, entgegen dem System der bestehenden Wiederaufnahmegründe, eine Möglichkeit zur Wiederaufnahme des Verfahrens gegeben sein muß. Vorgeschlagen wird die analoge Anwendung des § 79 BVerfGG. Der Verfasser schließt mit einem Überblick über weitere Problemkonstellationen, deren umfassende Bearbeitung den Rahmen einer Dissertation überschreiten würde.