2. Abt: Vorlesungen / Nietzsche: Der europäische Nihilismus (II. Trimester 1940)
Martin Heidegger, Petra Jaeger
„Nietzsche. Der europäische Nihilismus“ ist Heideggers Vorlesung aus dem Jahre 1940, gehalten an der Freiburger Universität. Diese Veröffentlichung orientiert sich streng an der Handschrift und ist bemüht, den lebendigen Sprachduktus des mündlichen Vortrags unangetastet zu lassen. Heidegger betont die „leitende Rolle des Wertgedankens“ bei Nietzsche, und zwar nicht nur in seiner wesentlich sachlich-metaphysischen Bedeutung in der Metaphysik Nietzsches wie auch für deren immanente Auslegung, sondern auch in seiner besonderen methodischen Funktion in der kritischen Hinterfragung der Metaphysik Nietzsches. Radikalität und Totalität der Umwertung aller Werte gemäß dem Willen zur Macht fordern ein neues Menschentum für deren Vollzug, d. h. die Frage nach Ursprung und Vorrang von Wertgedanke und Anthropomorphismus bedarf eines ursprünglicheren Verstehens der abendländischen Metaphysik und ihrer Geschichte durch den Ausblick auf das Verhältnis des Menschen zum Seienden in ihr. Exemplarisch dafür steht die Besinnung auf drei nach dieser Hinsicht zentralen metaphysischen Grundstellungen bei Protagoras, Descartes und Nietzsche. Heidegger weist nach, daß nicht die jeweilige Auslegung des Seins des Menschen die Auslegung des Seienden als solchen bestimmt, sondern der Wesenswandel der Wahrheit und des Seins selbst. Der Wesenswandel der Auslegung des Seins von der idea als agathon bei Platon, der idea als perceptio bei Descartes (und Leibniz) und dann als Bedingung der Möglichkeit bei Kant beantwortet die leitende Frage der Vorlesung, warum am und im Ende der Metaphysik und als ihre Vollendung in der Metaphysik des Willens zur Macht das Sein alles Seienden als Wert gedacht werden konnte und mußte.