Großdeutsche Geschichtsschreibung im neunzehnten Jahrhundert.
Die erste Generation (1830-48).
Thomas Brechenmacher
Großdeutsche Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert: damit sind die vielfältig ausgeprägten Ansätze vor allem konservativer, dem Katholizismus nahestehender Historiker bezeichnet, der dominanten borussianischen Geschichtsdeutung entgegenzutreten. Wollte diese die Notwendigkeit eines kleindeutschen Nationalstaates unter preußischer Führung aus dem Verlauf der deutschen Geschichte ableiten, erscheint als Hauptcharakteristikum der großdeutschen Alternative das Bestreben, eine staatliche Neuordnung nicht unter Verzicht auf einen Teil Deutschlands zuzugeben, der dessen Geschicke über viele Jahrhunderte hinweg so maßgeblich bestimmte. Aber nicht nur der Hinweis auf die Rolle Österreichs steht im Zentrum der großdeutschen Geschichtsbilder, sondern der Versuch einer angemesseneren Würdigung der gesamten Reichsgeschichte mit ihren gewachsenen Ordnungen und Traditionen, von den Ottonen bis zum Ende von 1806.
Die Geschichte der großdeutschen Historiographie im 19. Jahrhundert beabsichtigt, eine Erinnerungslücke innerhalb der Geschichte des Faches zu schließen. Sie legt dar, warum diese Historiographie für ihre Zeit bedeutend war, worin ihre Leistungen, worin ihre Irrtümer lagen, sowohl hinsichtlich der inhaltlichen Kenntnis und Erkenntnis deutscher Geschichte als auch hinsichtlich der Ausbildung der wissenschaftlichen Disziplin „Geschichte“. Die vorliegende Arbeit entwickelt hierfür zunächst ein weites Konzept, das nicht nur die Jahre der tagespolitischen Aktualität des Großdeutsch-Kleindeutsch-Gegensatzes zwischen 1848/49 und 1866/71 umgreift, sondern über drei Historikergenerationen hinweg die Zeit der eigentlichen Entstehung großdeutscher Geschichtsschreibung seit etwa 1830 ebenso mit einbezieht wie deren Weiter- und Umbildung in den Jahren nach der Reichsgründung, bis ins 20. Jahrhundert hinein (Einleitung). Der anschließend ausgeführte, in sich geschlossene erste Teil dieses Konzepts behandelt dann anhand der Werke sowie anhand von Korrespondenzen und unveröffentlichtem Nachlaßmaterial die Grundlegungen und Anfänge großdeutscher Historiographie zwischen 1830 und 1848 am Beispiel fünf ausgewählter Historiker der „ersten Generation“: Johann Friedrich Böhmer, Friedrich Emanuel Hurter, August Friedrich Gfrörer, Ignaz Döllinger und Constantin Höfler.