Großfürst Konstantin Nikolaevič
Der persönliche Faktor und die Kultur des Wandels in der russischen Autokratie
Matthias Stadelmann
Großfürst Konstantin Nikolaevic (1827-1892) war einer der bemerkenswertesten russischen Staatsmänner des 19. Jahrhunderts. Der zweitgeborene Sohn von Kaiser Nikolaj I. begründete als General-Admiral der russischen Flotte im Marineministerium eine Kultur des Wandels in der St. Petersburger Politik, die dazu führte, dass sein Bruder, Kaiser Aleksandr II., Mitte der 1850er Jahre ein groß angelegtes Reformprogramm initiierte. Konstantin wurde bald unverzichtbar für die Politik im Reich seines Bruders: Er setzte die epochale Befreiung der Bauern aus der Leibeigenschaft durch und öffnete damit den Weg für weitere Modernisierungen der Autokratie. Als er kaiserlicher Statthalter im russisch beherrschten Polen wurde, verfolgte er die große Vision einer Versöhnung von Polen mit Russland auf der Grundlage von Respekt und Gesetzlichkeit, eine Vision, die jedoch im Aufstandskrieg von 1863 unterging.
Matthias Stadelmanns Studie zur russischen Reformära verknüpft die Analyse entscheidender Wirkungsstationen des Großfürsten mit einer Kulturgeschichte des Politischen. Erst über die biographisch orientierte Betrachtung Konstantin Nikolaevics erschließen sich grundlegende Strukturen der Petersburger Politik: Reformdiskurse, Kommunikationsmechanismen, Handlungsstrategien und Entscheidungsfaktoren. Darüber hinaus gibt die Studie Einblick in die vielschichtige Persönlichkeit des Kaiserbruders, der – aufgeklärt und despotisch, kultiviert und schroff – seine Zeitgenossen stets polarisierte, gerade mit dieser Polarisierung aber Potential für Russlands historischen Wandel schuf. Vom eindrücklichen Beispiel des Großfürsten ausgehend stellt Stadelmann den persönlichen Faktor als entscheidendes Moment politischer Gestaltung im Russischen Kaiserreich heraus.