Heilige in Europa
Kult und Politik
Herbert Nikitsch
Eine Beschäftigung mit Heiligen und ihrem Kult mag auf den ersten Blick anachronistisch wirken. Im herrschenden religionswissenschaftlichen Diskurs – ob unter
der Prämisse der (seit Jahrzehnten durchdeklinierten) Säkularisierungsthese oder der (gleichfalls seit Jahrzehnten beschworenen) „Wiederkehr der Götter“ geführt
– spielen Heilige kaum eine Rolle. Auch in offizieller katholischer Katechese wird die „Wolke von Zeugen“ heute ebenso nur summarisch abgehandelt wie in kirchenrechtlicher Kanonik. Und selbst im kirchentreuen katholischen Glaubensmilieu wird das religiöse Handlungsangebot der Heiligenverehrung, das in früherer Frömmigkeitspraxis sehr ernsthaft wahrgenommen wurde, oft nur mehr in recht beliebig-unverbindlicher Weise beachtet. Doch wenn auch ihre Vorbild- und Vermittlungsfunktion im alltäglichen Leben selbst religiöser Menschen meist nur mehr in der offiziellen Form der liturgischen Fürbitten präsent ist, sind doch einige Phänomene zu beobachten, die jener „Randstellung“ der Heiligen, die im Fach Volkskunde schon vor gut vierzig Jahren diagnostiziert worden ist, zu widersprechen scheinen.