Heinrich der Löwe in Geschichte und Sage
Leila Werthschulte
Heinrich der Löwe, einer der mächtigsten und umstrittensten Territorialfürsten des deutschen Mittelalters, ist uns heute vor allem als Widersacher Kaiser Friedrichs I. Barbarossa und Städtegründer von Lübeck und München gegenwärtig. Doch im Mittelalter war er, nicht zuletzt durch historische Anhaltspunkte wie die Errichtung des Löwendenkmals in Braunschweig und die Pilgerfahrt ins Heilige Land, zum Löwenritter und heldenhaften Protagonisten einer populären Sage avanciert.
In einem interdisziplinären Ansatz werden in der vorliegenden Studie erstmals Darstellungen Heinrichs des Löwen in den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Text- und Bildzeugnissen systematisierend zusammengeführt. Die mediale und auch überregionale Vielfalt der überlieferten Zeugnisse ist beeindruckend: Sie reicht von den lateinisch-gelehrten, historiographischen Zeugnissen des 12. und 13. Jahrhunderts über deutsche, niederländische, osteuropäische und skandinavische fiktional-literarische, volkssprachliche Texte in der Tradition der Mündlichkeit bis hin zu Fresken, Bildteppichen und Handschriftenillustrationen zur Heinrich-Sage sowie zur Repräsentationskunst Heinrichs des Löwen und welfischen Memoria.
Im Sinne einer Gattungstheorie der Sage werden die Abgrenzung der Identität der Heinrich-Sage und intertextuelle Bezüge zum Romanfragment Reinfried von Braunschweig und dem Herzog Ernst-Stoff diskutiert. Die Fragestellungen, die sich durch die Vielfalt der Zeugnisse ergeben, betreffen jedoch vorrangig die Entwicklung der Gestalt Heinrichs des Löwen von der realen, historischen Person zum Held der abenteuerlichen Heimkehrersage und die fundamentalen Möglichkeiten der bildnerisch-visuellen Medien gegenüber den narrativen in Bezug auf Szenenaufbau, Handlungsablauf und Personendarstellung.