Intim und respektabel
Homosexualität und Freundinnenschaft in der deutschen Frauenbewegung um 1900
Elisa Heinrich
Die Frauenbewegung um 1900 war nicht nur ein politischer Zusammenschluss, sondern auch zentraler Ort der Vergemeinschaftung von Frauen. Ob sich Aktivistinnen im Frauenklub verabredeten, sich auf Kongressen zu Hunderten trafen oder in einer Damenwohnung das tägliche Leben miteinander teilten – die Bewegung ermöglichte vielfältige, intime Beziehungen und Praxen zwischen Frauen. Für die Deutung dieser Verhältnisse war die Kategorie der Respektabilität wesentlich wichtiger als die Frage nach womöglich praktizierten sexuellen Beziehungen. Die um 1900 popularisierte Unterscheidung zwischen Homo- und Heterosexualität perspektivierte diese Lebensmodelle neu. Elisa Heinrich fragt in ihrer Studie nach den Aushandlungsprozessen der Akteurinnen und beleuchtet Bedingungen und Folgen dieses Übergangs.
The women’s movement was not only a place of political debate. A large number of activists spent most of their time among women – at women’s clubs, as female couples or in so-called ladies’ apartments. Respectability played a significant role in these circles. Whether or not a relationship or behavior was considered “respectable” was much more important than whether someone entered into homo- or heterosexual relationships. This gradually growing distinction – popularized by sexology since the second half of the 19th century – placed the intimate relationships within the women’s movement into new normative contexts. Elisa Heinrich both examines the discursive negotiation of female homosexuality by women’s activists and sheds light on the conditions and consequences of this significant transition.