Jahrbuch Polen 34 (2023) Osten
Mit der Frage nach dem „Osten“ – aktualisiert noch durch den Krieg, den Russland in der Ukraine führt – verortet die Jahrbuch-Redaktion Polens politische und gesellschaftliche Lage auf der heutigen Karte Europas. Seit dem demokratischen Umbruch 1989 reflektieren polnische außenpolitische und ideengeschichtliche Diskurse diese Frage, die sich geopolitisch erst einmal paradox darstellt: 1945 wurden Polens Grenzen gen Westen verschoben, dennoch verlagerte sich das Land auf der europäischen mental map mehr denn je Richtung „Osten“. Es wurde zum Teil des Ostblocks, zum Satellitenstaat der Sowjetunion – verbunden mit in Polen als barbarisch wahrgenommenen Attributen. Nach 1989 orientierte sich das Land nach „Westen“ und versuchte seine neu definierten östlichen Nachbarn wie Ukraine, Belarus oder Georgien darin zu unterstützen, sich aus der postsowjetischen, russischen Einflusssphäre zu emanzipieren.
Seit den 2000er Jahren wogten in Polen Debatten, die den Osten und Polens Rolle dort neu definierten, etwa in Bezug auf die Versklavung ukrainischer Bauernschaft, die Diskriminierung von Minderheiten oder die allgemeine gesellschaftliche, kulturelle und technologische Entwicklung. In letzter Zeit ist dagegen viel Kritik zu hören an westlichem Verständnis für die „russische Seele“, verbunden mit Forderungen, die außenpolitischen Gegebenheiten und Maximen der mitteleuropäischen Staaten stärker zu respektieren.
Das Jahrbuch Polen 2023 bietet ein Spektrum von Analysen und Einsichten, wie in Polen der „Osten“ wahrgenommen wird, welche Abgrenzungen und befürchteten Abgründe, aber auch welche positiven Zuschreibungen und romantischen Stereotype es gibt.