Jerusalem sehen
Reiseberichte des 12. bis 15. Jahrhunderts als empirische Anleitung zur geistigen Pilgerfahrt
Susanne Lehmann-Brauns
Die Pilgerliteratur des Mittelalters gilt als Literaturform, die sich, gefangen im Rahmen religiöser Regeln, gegenüber der Erfahrung und Beobachtung der Welt verschließt. Innerhalb der religiösen Reiseberichte aufglimmende Neugier und vertieftes Interesse werden meist als Fremdkörper gedeutet, die zum Ausgang des Mittelalters hin das genuine spirituelle Interesse der Pilger zu überlagern beginnen, um schließlich den mittelalterlichen Pilger durch den neuzeitlichen Entdecker zu ersetzen. Die vorliegenden Studie korrigiert diese Forschungsmeinung und macht deutlich, dass Glaube und Erfahrung, spirituelles Bedürfnis und beobachtende Aufmerksamkeit, religiöse Erwartungshaltung und genaue Beschreibung die verbindenden Elemente eines besonders seit dem 12. Jahrhundert praktizierten, gelehrten theologischen Erkenntniswegs darstellen.