Klärende Rebellion : Butoh
Tanzlabor Graz: Texte - Gespräche - Fotografien
Herbert Nichols-Schweiger
Aus heftigsten gesellschaftlichen Unruhen, an der Künstler wesentlich beteiligt waren, entstand vor ungefähr 40 Jahren in Japan ein neues Verständnis von zeitgenössischem Tanz(theater): Butoh oder der Tanz der Finsternis. Von Tatsumi Hijikata und Kazuo Ohno Ende der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts ausgelöst und weiterentwickelt, mündete Butoh in einer weltweit verbreiteten Kunstform, die das absolut menschliche Sein und die Notwendigkeit seines Ausdrucks betont. In aller Konsequenz geht es darum, mit dem Konzept von „Schönheit“ zu brechen, mit der (eitlen) Vorstellung von „mir selbst“. Es geht um das „Anti-Ich“ und die „Anti-Show“. Obwohl auch von Wurzeln ältester Folkloretraditionen Japans gespeist, sind Einflüsse europäischer Strömungen des Deutschen Expressionismus bzw. Ausdruckstanzes oder des Dadaismus und Surrealismus zu erkennen. Erstmals werden in diesem Buch Parallelen zu dem in den späten 50er und 60er Jahren weltweit forcierten Aktionismus aufgezeigt. Diese multivalenten Ansatzpunkte boten der Steirischen Kulturinitiative ab 1994 die Möglichkeit, Butoh in mehreren Tanzlabors als Theater-nahe Fortsetzung der japanischen Ausprägung des Aktionismus sowie von adoptierten Formen des Ausdruckstanzes in einen Erkenntnisprozess für professionelle, semiprofessionelle und Laien-TänzerInnen einzubringen. So erarbeitete die weltweit engagierte Butoh-Choreografin und Tänzerin Yumiko Yoshioka in drei Butoh-Workshop-Projekten 1995, 1996 und 1997 mit TänzerInnen unterschiedlichen Niveaus in kaum zwei Wochen bühnenreife Präsentationen. Überdies war sie am Beginn der Serie (mit Eclipse) und als Solo-Tänzerin mit i-ki in Graz zu sehen. Auch der in der mitteljapanischen Stadt Kanazawa mittlerweile als Tanztheaterdirektor wirkende Moe Yamamoto hat mit semiprofessionellen und Laientänzerinnen zwei Produktionen gestaltet. 2001 und 2002 war er Lektor der Internationalen Tanzwochen in Wien. Die (so die New York Times) weltweit „vorne stehende“ Jazzpianistin Myra Melford kam für die Uraufführung einer Butoh-Produktion mit der in den USA lebenden japanischen Tänzerin Dawn Akemi Saito. „Die Gesten, die sich in meinem Körper versammelt haben, dringen durch meine Arme und Hände hindurch und kommen so zum Vorschein. Wenn ich etwas zu greifen versuche, hält die Hand in mir meine Hand zurück, sodass sie ihr Ziel nicht erreicht. Ich habe festgestellt, dass ein Körper, der nichts auf direktem Wege, sondern nur auf Umwegen erreichen kann, ein schon vor langer Zeit geformter