Konstruktion, Evolution und riffbildendes Potential der rugosen Korallen
In memoriam Wolfgang Friedrich Gutmann
Michael Gudo
Die Rekonstruktion der Weichkörperanatomie rugoser Korallen auf der Basis konstruktionsmorphologischer Überlegungen wird beschrieben. Funktionell-morphologische Untersuchungen heutiger Korallen und Seeanemonen geben Einblick in die wichtigen Mechanismen der Formbildung, Bewegung, Körperaufbau, Funktionierensweise, Entwicklung und Optionen für die Evolution; hierauf stützt sich die Weichkörperrekonstruktion für die Rugosa. Das wichtigste Ergebnis dieser Arbeit ist, daß die Rugosa, entgegen der üblichen Annahme keine paarigen Mesenterien hatten, sondern daß die Polypen einzelne Mesenterien besessen haben, die in vier Sektoren in einem serialen oder symmetrischen Muster hinzugewachsen sind. Hieraus folgt, daß innerhalb der Rugosa zwei unterschiedliche Baupläne existieren, einer mit serialem Zuwachs und einer mit symmetrischem Zuwachs. Desweiteren ist bei den Untersuchungen herausgekommen, daß einige paläozoische Korallen sich nur mit dem Bauplan der heutigen Scleractinia rekonstruieren lassen. Somit muß die übliche Vorstellung aufgegeben werden, daß die Scleractinia erst in der Trias erschienen sind, es gab sie bereits im Paläozoikum. Alle Korallen haben bestimmte Optionen für ihr individuelles Wachstum und für ihre weitere Evolution. Das sogenannte Riff-Formungs-Potential der Rugosa und Scleractinia wird miteinander verglichen und dabei auf konstruktionsmorphologischer Grundlage die Frage beantwortet, warum die Rugosa keine so mächtigen Riffe gebaut haben: Sie konnten es nicht.