Laokoon in der Frühen Neuzeit
Christoph Schmälzle
Wie kaum ein anderes Kunstwerk regt die antike Laokoon-Gruppe seit der Renaissance zu divergierenden Deutungen an.
Das von Plinius d. Ä. hochgeschätzte Meisterwerk zeigt den Todeskampf eines Priesters und seiner Söhne, die am Altar von gottgesandten Schlangen überwältigt werden. Für Winckelmann und Lessing verkörperte die 1506 in Rom wiederentdeckte Skulptur ein durch Beherrschung und Schönheit gemildertes Leiden. An den Akademien der Frühen Neuzeit dagegen fungierte sie als Muster des Affektausdrucks, sodass dem sterbenden Priester auch jene Schmerzensschreie zugeschrieben wurden, die Vergil im Text der Aeneis erwähnt. Diese ›barocke‹ Sichtweise blieb über einen Zeitraum von 250 Jahren stabil, bevor sie durch das neoklassizistische Ideal der Affektdämpfung abgelöst wurde.
Erstmals stellt eine Monographie diese weitgehend vergessenen Schicht der Überlieferung im Zusammenhang dar. An die Seite des semiotischen Kunstvergleichs, der die Debatte ab dem 18. Jahrhundert prägt, tritt eine Fülle weiterer Gesichtspunkte und Fragen. Das Buch behandelt die künstlerischen Reflexe des Laokoon-Mythos vor der Wiederentdeckung der Gruppe ebenso wie die Herausbildung einer vom antiken Vorbild unabhängigen Laokoon-Ikonographie im 16. und 17. Jahrhundert. Im Mittelpunkt steht aber die enorme Bedeutung, die das Laokoon-Exemplum sowohl in der Kunst und Kunsttheorie der Gegenreformation als auch im Curriculum der frühneuzeitlichen Akademien – vor allem in Rom und Paris – eingenommen hat.
Besonders hervorzuheben ist die Aufarbeitung breiter, bisher unberücksichtigter Materialen sowie die Publikation zahlreicher, teils entlegener Bildquellen. Zitate aus dem Lateinischen, Italienischen, Französischen und Englischen wurden durch den Verfasser vollständig ins Deutsche übertragen.