Lehrbuch der Psychiatrie
Eugen Bleuler, M. Bleuler
18 Lange Zeit ist wenig beachtet worden, daß die Eltern aktive Partner in der Auseinandersetzung mit den Kindern sind und daß diese Auseinandersetzungen auch auf sie Rückwirkungen haben. Ihre Emotionen gehen bei der Entwicklung des Kindes und seinen Beziehungen zu ihnen selbst stärker mit, als sie es vor dem eigenen Bewußtsein wahr haben wollen. Dabei werden ihre eigenen Kind heitskonflikte wieder lebendig. Schwerwiegend wirkt sich das z. B. oft bei einer jungen Mutter aus, die in ihrer eigenen Kindheit die mütterliche Liebe und Fürsorge entbehren mußte: sie kann dann manchmal die richtige Mütterlichkeit nicht entwickeln, sie bleibt ihr fremd, weil sie ihr nicht vorgelebt wurde; sie hat unklar das Gefühl der Überforderung, da sie so viel schenken sollte, wovon sie nichts erhalten hat. Depressionen im Wochenbett und falsche Einstellungen zum Kind, in denen versucht wird, mangelnde Mutterliebe durch Übergewissenhaftig keit in der körperlichen Pflege zu ersetzen, können die Folge sein. Im Alter wird das Problem der Anpassung an die veränderten Kräfte allgegen wärtig. Der Versuch, sich in derselben Art durchzusetzen, wie es Jüngeren beschieden ist, muß zu Enttäuschungen und Bitterkeit führen. Wenn es hingegen gelingt, die erst in späteren Jahren erworbenen Fähigkeiten, die einem Jüngeren nicht zukommen, auszunutzen, hilft dies wesentlich zum inneren Gleichgewicht. Der Greis reibt sich auf, wenn er in jeder Hinsicht „mit seiner Zeit leben“ und alle Neuerungen mitmachen soll.