Logos – Heidegger liest Heraklit.
Ivo De Gennaro
Die Fragmente des Vorsokratikers Heraklit von Ephesos sind eines der bedeutendsten Dokumente des Anfangs des abendländischen Denkens. In Heideggers Auslegung wird deutlich, inwiefern dieser Anfang nicht den Charakter des »Archaischen« und alsbald Überwundenen hat, sondern die Eröffnung der für das Abendland weitesten Sinndimension bedeutet. Diese Dimension – von Heraklit u. a. als physis und logos, kosmos und harmonia gedacht – ist insofern die weiteste, als sie allem Denken, das aus dem Anfang hervorgeht, ohne dessen Weite wieder einzuholen, vorgeordnet bleibt, d. h. seine sinnmäßigen Möglichkeiten umgrenzt.
Das Denken, das sich in einem solchen nachgeordneten Bezug zum Anfang hält, nennt Heidegger metaphysisch. In seinem Versuch, dem frühgriechischen Anfang seine Weite zu lassen und so zugleich die Metaphysik in ihre Wesensgrenzen zurückzustellen, soll sich aber die gegenwärtig maßgebliche Dimension erschließen, in der jene erste Erfahrung des Anfangs sich vertieft und die ein gegenüber dem vormetaphysischen und metaphysischen gewandeltes Denken verlangt. Die Auslegung läßt sich daher in die äußerste Anerkennung des als physis und logos gedachten Grundes ein, damit in klarer Abgrenzung davon die Dimension der abgründigen Lichtung vertrauter und gangbar werde. In der Radikalität der Einsicht in die für die Moderne notwendige vertiefende Absetzung vom vorgeordneten griechischen Anfang trifft Heidegger sich mit dem Geschichtsdenken Hölderlins.
Der Autor zeichnet diese Auseinandersetzung – auch unter Rückgriff auf von Heidegger nicht behandelte Fragmente – in den leitenden Aspekten nach. Dazu werden ergänzend Hauptgedanken der Vorsokratiker Anaximander von Milet und Parmenides von Elea dargestellt. Im Ausgang von der Umgrenzung des heraklitischen logos wird abschließend ein Hinweis zu dem neu zu denkenden Wesenszusammenhang von (Ab-)Grund, Mensch und Sprache gegeben.