Max Stirner und Rudolf Steiner
Vier Aufsätze
Karl Ballmer, Martin Cuno, Peter Wyssling
Die weitestgehende Zustimmung, die Steiner dem von Max Stirner propagierten absoluten Egoismus zuteil werden ließ, wird in der Regel ignoriert. Stirners Buch „Der Einzige und sein Eigentum“ verdient nicht nur deswegen anthroposophischerseits Beachtung, weil Steiner nach eigenen Worten im ersten Teil seiner „Philosophie der Freiheit“ den „philosophischen Unterbau für die Stirnersche Lebensauffassung“ geliefert hat. Steiner legt, so Ballmer, die an Stirner entwickelte Idee der Wahrheit („Wie man aus dem Welterkenner der Weltherrscher, aus dem Priester der Wahrheit der Herr der Wahrheit werden kann, das ist für ihn die Frage.“) seinem eigenen Wirken zugrunde.
Insbesondere wer an der Anthroposophie die (schnell verstandene) „Christlichkeit“ schätzt, wird mit Steiners positivem Verhältnis zu Stirner massive Probleme haben:
„Wir werden den Ernst aufbringen müssen, um einzugestehen, dass Rudolf Steiner von Max Stirner als von dem Manne spricht, der von den Verwaltern der äußeren Tradition als der erbittertste Feind des Christentums angesehen werden muss, von dem Manne, der sich selbst als Verächter und Gegner des Christentums versteht. Wer nicht zu sehen vermag, dass hier ein Problem von geistiger Weltbedeutung seine Lösung fordert, wer vor der Aufgabe der Lösung dieses Problems resigniert, belastet das einheitliche Werk Rudolf Steiners mit dem Odium des Selbstwiderspruchs. Kann man Max Stirner bejahen und Christentum begründen?“
Ballmer sieht in Stirners „Der Einzige und sein Eigentum“ nicht weniger als das repräsentative Buch des 19. Jahrhunderts. Aus dezidiert anthroposophischem Blickwinkel liest er aus Stirner anderes und mehr heraus als nur eine „genialische Marotte“ (Egon Friedell). Sein Resultat: „Die spekulative Philosophie ist Abendrot, Stirner mag uns Frühschein und Zwielicht eines neuen Tages bedeuten.“