Modellgestützte Verfahrensentwicklung zur Entgratbearbeitung von Bohrungsverschneidungen auf Bearbeitungszentren
Adrian Meinhard
Die spanende Bearbeitung von metallischen Bauteilen ist gekennzeichnet durch unterschiedliche Formen der Gratbildung. Beim Ablösen dieser scharfkantigen Werkstoffgebilde kann es zu einer Beeinträchtigung bis hin zu einem Funktionsausfall lasttragender Systeme führen. Um Ausfälle zu vermeiden, müssen diese in der Regel entfernt werden. Im Bauteilinneren liegende Grate, wie an Kreuzbohrungen oder komplexen Bohrungsaustritten anhaftende Grate sind besonders kritisch, da diese schwer zu erreichen und somit zu entfernen sind. Aufgrund der schwierigen Zugänglichkeit und der komplexen Verschneidungsgeometrie erfolgen Entgratarbeiten oftmals per Hand.
Im Rahmen dieser Arbeit wird ein weggebundenes Verfahren entwickelt, welches das prozesssichere und automatisierte Entgraten von Kreuzbohrungen und komplexen Bohrungsaustritten auf Bearbeitungszentren ermöglicht. Durch Bahninterpolation wird es für definierte Kugelkopffräswerkzeuge möglich, speziell auf die jeweils vorliegende Verschneidungssituation, angepasste Werkzeugbahnen zu berechnen. Über mathematische Berechnungsvorschriften wird die Werkzeugbahn als ideale Werkzeug-Werkstück Interaktion ermittelt, welche den Grat entfernt und eine vollumfängliche und einheitliche Fase anbringt. Die Werkzeugbahn, welche abhängig von der jeweiligen Verschneidungskontur ist, wird im Prozess genau einmal abgefahren, um den Grat vollumfänglich zu entfernen. Auf diese Weise wird es möglich mit einer geringen Anzahl an Fräswerkzeugvarianten eine hohe Anzahl an unterschiedlichen Verschneidungssituationen zu bearbeiten und eine hohe Einsatzflexibilität zu erreichen. Die Werkzeugbahn, welche als 3-Achs-Kinematik modelliert wird, ist wie bei kommerzieller CAM-Software als Starkörper dargestellt.
Um die gesteckten Ziele zu erreichen werden ein analytisches und ein numerisches Modell entwickelt. Das analytische Modell ermöglicht die Werkzeugbahnberechnung für Kreuzbohrungen (ideale Zylinder-Zylinder-Verschneidungen) und das numerische Modell eignet sich für komplexe Bohrungsaustritte (Zylinder-Freiform-Verschneidungen). Die deskriptive Modellierung ermittelt mit den Parametern Ort, Steigung und Materialwinkel geeignete Kennwerte zur Beschreibung der komplexen Konturen. Im Rahmen der präskriptiven Modellierung werden vier Werkzeugbahnberechnungsmodelle entwickelt. Über die Betrachtung der Evolutenkurve lassen sich geeignete Werkzeuggrößen ermitteln. In der Verifizierung wird nachgewiesen, dass Kollisionen des Werkzeugschafts mit der Bohrungswand und Flächenverletzungen durch das Anbringen von zu großen Fasen in der Simulation verhindert werden. Die experimentelle Validierung zeigt auf, dass für unterschiedliche geometrische Anwendungsfälle der Primärgrat entfernt wird, der Sekundärgrat unterhalb des kritischen Grenzwerts verbleibt, die Fase vollumfänglich angebracht wird und innerhalb enger Toleranzen eine einheitliche Breite aufweist. Um Handlungsempfehlungen ableiten zu können, werden experimentelle Versuche durchgeführt, welche den Einfluss der Prozessparameter und der Bearbeitungsrichtung untersuchen. Es zeigt sich, dass eine Erhöhung der Drehzahl zu einer Vergrößerung der angebrachten Fasenbreite führen. Auf die Sekundärgrathöhe hat eine Prozessparametervariation hingegen kaum einen Einfluss. Abschließend lässt sich feststellen, dass das im Rahmen dieser Arbeit entwickelte, weggebundene Verfahren bei der Entgratbearbeitung von Innenkonturen erfolgreich genutzt werden und somit technologische Vorteile gegenüber alternativen Lösungen bieten kann.