Moralische Dilemmata als wahre Widersprüche
Argumente für eine dialethistische Semantik im moralischen Diskurs
Helen Bohse-Nehrig
Moralische Dilemmata lassen sich als Situationen charakterisieren, in denen sich eine Person zwei gleich starken moralischen Verpflichtungen gegenübersieht, die nicht beide zugleich erfüllt werden können. Mit diesen Situationen ist eine intuitiv gespürte Widersprüchlichkeit verbunden: Wofür sich die Person auch entscheidet, immer scheint sie damit zugleich etwas moralisch Falsches zu tun. In diesem Buch wird die spürbare Widersprüchlichkeit auf einen tatsächlichen logischen Widerspruch zurückgeführt, und es wird eine Lösung für dieses theoretische Problem moralischer Dilemmata entwickelt, die in der Revision der klassischen Semantik im Sinne des Dialethismus – also der These, dass sich Wahrheit und Falschheit nicht ausschließen – besteht. Ziel ist es zu zeigen, dass eine parakonsistente Lösung für das Problem moralischer Dilemmata, derzufolge wir es in diesen Situationen mit wahren Widersprüchen zu tun haben, eine ernst zu nehmende Alternative ist, die mindestens gleichberechtigt neben anderen Ansätzen steht – wenn sie sich nicht sogar in vielen Punkten als plausibler erweist.