Nation, Gott und Modernität
Grenzen literarischer Autonomie in Frankreich 1919–1929
Michael Einfalt
Der Erste Weltkrieg markiert einen Einschnitt, nach dem die literarischen Kräfteverhältnisse wieder neu ausgehandelt werden. Der Radikalisierung der literarischen Autonomie durch Avantgardebewegungen wie Dadaismus und Surrealismus stehen auf konservativer Seite nationalistische und katholische Gruppierungen gegenüber, deren Bedeutung im Streben nach der dominanten Position im literarischen Feld heute weitgehend vergessen ist. Hinzu kommen noch internationalistisch ausgerichtete Tendenzen sowie die Debatte um die Arbeiterliteratur. Die verschiedenen Positionen gruppieren sich um bestimmte literarische Zeitschriften, die das Spektrum der möglichen Stellungnahmen bündeln. Die Meinungsführerschaft beanspruchen zunächst die konservativen Kräfte, die die Literatur in ein ideologisches Bollwerk aus Nationalismus, Katholizismus und literarischer Tradition einbinden wollen, um sich von den als bedrohlich empfundenen Modernisierungsprozessen abzuschotten. Die Nachkriegsgeneration reagiert auf die gleiche Krisensituation mit einem Flottieren zwischen Katholizismus und literarischer Avantgarde. Erst im Laufe der zwanziger Jahre bilden sich mit der Gruppe um die »Nouvelle Revue française« und den Surrealisten die dominanten Pole heraus, von denen aus das literarische Feld zu seiner Autonomie zurückfindet. Schriftsteller wie André Gide oder Jean Cocteau erscheinen in ihren Implikationen in die verschiedenen Debatten in einem neuen Licht, bislang unterschätzte Autoren wie Jacques Rivière oder Philippe Soupault stehen im Schnittpunkt der Auseinandersetzungen, Jacques Maritains Rolle beim Eindringen des Katholizismus in die literarische Avantgarde schließlich blieb bislang nahezu völlig unbeachtet.