ORA

Eberhard Martin Schmidt (EMS) war ein sehr vielseitiger Künstler. Bei jedem neuen Einfall waren die ersten Überlegungen, in welchem künstlerischen Medium lassen sich die Gedanken oder Vorstellungen am genauesten wiedergeben – als Skulptur, Gemälde, Aquarell, Skizze oder mit Worten als Dichtung. Während einer seiner intensivsten bildhauerischen Schaffensperioden ergänzten sprachliche Einfälle die gestalterischen Aussagen auf besondere Weise. Diese sprachlichen Pendants zeichnete EMS auf und im Laufe weniger Wochen waren 148 Einzelelemente formuliert in einer neuen Dichtart, die EMS Atondo nannte. Diesem Gesamtopus gab EMS den Titel ORA, wobei die Bedeutung dieses Wortes im weitesten Sinn gemeint ist, also neben der benediktinischen Aufforderung zum Beten, auch den Sinn von Stunde, jetzt, Raum, Grenze u.a. aus dem erweiterten lateinisch- italienischen Sprachgebrauch umfasst. Insgesamt gliedert sich das Werk in drei Teile: Der Strom – die Insel – der Strom.
Jedes Atondo besteht wiederum aus drei Teilen: Die erste Strophe folgt einem strengen Versmaß und gibt das Thema an. Der Mittelteil fängt mit einem Prosatext die allgemeine menschliche Situation ein, die auf eine existierende Paralellwelt hinweist. Der dritte Teil wiederholt die erste Zeile und bringt durch eine spirituelle Reflexion das Ergebnis auf eine allgemeingültige Ebene. Inhaltlich steht im ersten Teil der Mensch, sein Leben in der Gesellschaft im Mittelpunkt mit all den vielfältigen Einflüssen mit denen er täglich konfrontiert wird. Auf der „Insel“ wird das laute, geschäftige „Ich“ zurückgedrängt, die umgebende Natur redet mit und ist mit einbezogen. Inhalte werden allgemeiner und betreffen tiefer liegende Schichten, bis schließlich im letzten Teil die Persönlichkeit immer mehr abgestreift wird und im allgemeinen kosmischen Menschheitsstrom sich selbstvergessend aufgeht.