Physica Poetica – Zählen und Erzählen
Theorie und Praxis der Prozesse der Interformation zwischen Literatur und Naturwissenschaft 1600–2016
Aura Heydenreich
Die ‚Interformation‘ wird definiert als textstrategische Praxis, die den Grenzverkehr zwischen den Zeichenordnungen der Physik und der Literatur organisiert. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Physik und Literatur auf unterschiedlichen semio-logischen Feldern operieren. Der Bindestrich im Wort „semio-logisch“ weist darauf hin, dass sich beide Felder unterschiedlicher Logiken der Verwendung von Zeichen bedienen. Untersucht werden zeichen- und erzähltheoretische Aspekte in Texten, in denen die theoretische Physik auf Verfahrensweisen der Literatur zurückgreift und diese für ihre Modellierungen heuristisch fruchtbar macht (Johannes Kepler, Albert Einstein, Kip Thorne). Andererseits werden verstehensrelevante physiktheoretische Aspekte in der Analyse jener literarischen Texte beleuchtet (E. T. A. Hoffmann, Durs Grünbein, Richard Powers, Dietmar Dath, Thomas Lehr), die auf Konzepte, Verfahren und Formrelationen der theoretischen Physik zurückgreifen. Mit diesem Ansatz der Interformation werden aus historischer Perspektive die Schwellenepochen um 1600, um 1800, um 1900 und um 2000 fokussiert. Die Arbeit folgt jedoch nicht der literarhistorischen Chronologie, sondern konzentriert sich auf bestimmte Problemkomplexe der Physik in den Bereichen der Astronomie, der Optik, der speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie, der Theoretischen Astrophysik sowie der Quantenfeldtheorie, die alle jeweils in der kulturellen Semantik bestimmter Epochen historisch virulent werden.