Planet Mensch
Kunst und Wissenschaft am Beginn des Anthropozäns
Sabine Adler, Robert Schmitt
Der Mensch beeinflusst die Erde in bisher nie da gewesener Weise. Nicht mehr die Natur prägt uns, wir prägen die Natur und greifen damit maßgeblich in das Erdsystem ein. Innerhalb einer Lebensspanne hat sich das Gesicht der Erde dramatisch verändert. Aus dem Planeten Erde ist der Planet Mensch geworden.
Selbst in abgelegensten Regionen lassen sich Spuren menschlichen Wirkens nachweisen. Wir sind zu einer geophysikalischen Kraft geworden, die mit großen Naturgewalten vergleichbar ist. Eine wachsende Zahl von Wissenschaftlern spricht deshalb von einem neuen Erdzeitalter: dem Anthropozän (von gr. anthropos, der Mensch). Es löst das Holozän ab, das vor ca. 11.000 Jahren mit dem Ende der letzten Eiszeit begann.
Schon immer hat der homo sapiens sapiens in den sensiblen Kreislauf von Biosphäre und Geosphäre eingegriffen. Grundlegend geändert haben sich in den letzten 60 Jahren die enorme Geschwindigkeit und das Ausmaß der Interventionen. So schaffen wir einen neuen Planeten, der heißer, artenärmer, lebensfeindlicher sein wird, sind Verursacher und Betroffene dieser Entwicklungen.
Die Ausstellung ‚Planet Mensch‘ möchte diesen epochalen Umbruch beleuchten. Dabei geht es um Fragen wie: Was bedeutet es kulturell, die Natur als unberührtes Gegenüber zu verlieren? Warum ist es uns oft unmöglich, eine Verbindung zwischen Wissen und Handeln herzustellen? Wie wollen wir in einer Welt leben, die sich irreversibel verändert hat? Über welche Potenziale verfügen wir? Acht Künstler haben sich unterschiedliche Aspekte dieser Thematik herausgegriffen.
Künstler:
Betty Beier, Adriane Colburn, Helga Griffiths, Iñigo Manglano-Ovalle, Christian Mings, Jürgen Nefzger, Vadim Fishkin, Massimo Pianese
Künstlerische Positionen:
Das Anlegen eines ‚Erdschollenarchivs‘ beschäftigt die Künstlerin Betty Beier seit mehreren Jahren. Dafür reist sie in sensible Klimaregionen, nimmt Abdrücke des Erdbodens, bereitet sie zu Reliefs auf und dokumentiert so die prägende Wirkung des Menschen auf die Geosphäre. In der Ausstellung setzt sie sich mit Kivalina, einer von Inuit bewohnten Insel in Alaska auseinander.
Adriane Colburn begleitet wissenschaftliche Expeditionen in Regionen, die durch den Eingriff des Menschen besonders gefährdet sind. Für die ERES-Stiftung hat sie eine raumgreifende Installation konzipiert, die sich mit Fracking in Texas/USA beschäftigt. In Scherenschnitten aus filigran bearbeiteten Landkarten untersucht die Amerikanerin die Mehrdeutigkeit von Datensammlungen und ihren Visualisierungen.
Mit einer interaktiven Licht- und Klanginstallation richtet Helga Griffiths auf sinnlich-subjektive Weise den Blick auf Megacities und das globale Klimageschehen. Dabei werden auch aktuelle Wetterdaten eingespielt, die auf die Arbeit ebenso Einfluss nehmen wie die Körpertemperatur des Betrachters.
Warum sind wir blind für die Folgen unseres sorglosen Umgangs mit dem Planeten? Und bleibt uns letztlich nur die Anpassung an eine veränderte Umwelt? Um diese Frage kreist die Arbeit ‚Happiness is a state of inertia‘ des US-amerikanischen Künstlers und documenta-Teilnehmers Iñigo Manglano-Ovalle.
Der Münchner Komponist Christian Mings untersucht, wie stark der Mensch seine natürliche Klangumgebung verändert. An vier Beispielen spürt er den Folgen dieses Eingriffs nach und macht sie hörbar. Stadtamseln singen deutlich lauter als ihre Artgenossen auf dem Land. Und Sounddesigner erarbeiten Töne, die künftig bei Tempo 30 auf Elektroautos aufmerksam machen.
Auf analytische wie humorvolle Weise setzt sich der Fotokünstler Jürgen Nefzger mit dem Verhältnis des Menschen zu der von ihm umgestalteten Natur auseinander. Anhand der Präsenz von Atomkraftwerken in europäischen Landschaften und am Beispiel schwindender Alpengletscher zeigt er den Menschen als Täter und Opfer einer im Wandel begriffenen Umwelt.
Vadim Fishkin entwirft technikbetriebene künstlerische Versuchsanordnungen, die sich komplexen Fragen betont einfach und spielerisch nähern. Im Zentrum dieser Fragen steht nicht Technologie als Selbstzweck, sondern ihre menschengerechte Entwicklung. Mit einer unvoreingenommenen Freude am Experiment sucht Fishkin nach Schnittstellen zwischen Naturwissenschaft und Kunst, zwischen Technik und Poesie.
Die Ausstellung zeigt zum ersten Mal eine Arbeit des italienischen Videokünstlers Massimo Pianese in Deutschland. Ein Mann im dunklen Anzug steht allein an einem Strand, über ihm Fallschirme, Paraglider, Hubschrauber – es geht um Fragen der Wahrnehmung und um die Orientierungslosigkeit des Menschen.