Raffael unter den Philosophen – Philosophen über Raffael.
Denkbild und Sprache der Interpretation.
Wolfgang von Löhneysen
Interpretationen von Werken der bildenden Kunst, die das Angeschaute durch Worte vermitteln, entsprechen dem Denkbild des jeweiligen Betrachters. Sie lassen auf verschiedene Weise die Voraussetzungen eines Werkes erkennen, das Denk-Bild, das den Künstler gelenkt haben könnte. Diese doppelte Hintergründigkeit wird als Kreislauf der Begründungen bezeichnet, weil sie auf sprachliche Mittel angewiesen, die „Sprache“ hinter dem Bild sucht und das eine mit dem anderen Denkbild in Beziehung setzt. „Raffael ohne Hände“ läßt die Problematik skizzieren. Werk, Idee und Genie dienen der Untersuchung als Basis. Die Deutungen der „Schule von Athen“ sehen vorangegangene Schriften als Quelle an, um mit ihnen das Fresko als ein Dokument der Geschichte der Philosophie zu verstehen. Sind sie formalanalytisch motiviert, geben sie Einblick in das bildhafte Denken Raffaels. Bilder dieses Künstlers können aber auch die Denkbilder der Philosophen interpretieren. Friedrich Nietzsche fand in der „Transfiguration“ den Beweis seiner Weltsicht und in der „Heiligen Cäcilia“ erst eine Bestätigung für die Musik Richard Wagners, dann für seine Kritik am Gesamtkunstwerk. Aus diesem Anlaß werden der Begriff „Einheit“ und die „Idee der Vollkommenheit“ erörtert, auch die Suche nach „Sinn“, der diesen Bildern zu Grunde zu liegen scheint. Die „Sixtinische Madonna“ konnte als Spiegelung häuslicher Familiarität verstanden werden. Selbst der Vergleich, dem Raffael ausgesetzt war, sei es der Entgegensetzung zu Michelangelo, sei es der Gleichsetzung mit Mozart (und Goethe), zeigt, daß Gegenwarts-Erfahrung oder ein Allgemein-Gedachtes wie Idealismus oder Realismus bzw. Naturalismus die Urteile bestimmen. Angesichts der Bilder einer zurückliegenden Gegenwart wird nur das Denken eine Bracke bilden, auf der wir sie – über einen Abgrund von Zeit – noch erreichen, denn Wissenschaft kann trotz der Vielfalt ihrer begründenden Kenntnis Anschaubares nicht ausreichend erklären. Philosophie leistet Erkenntnis.