Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz
Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht
Sabine Rudolph
Vor kurzem schenkten die Medien einem Fall der Restitution eines während des Nationalsozialismus entzogenen Kunstwerks besondere Aufmerksamkeit: der Rückgabe der „Berliner Straßenszene“ von Ernst Ludwig Kirchner durch das Land Berlin an die Erben des jüdischen Schuhfabrikanten Alfred Hess. Das Museum – oder vielmehr sein Träger – wurde heftig attackiert, weil es das Bild zurückgegeben hat. Dabei hat das Land Berlin nur getan, worauf sich Bundesregierung, Länder und kommunale Spitzenverbände in ihrer „Gemeinsamen Erklärung“ verständigt haben, nämlich NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter den früheren Eigentümern oder deren Erben zurückzugeben. Was diese Entscheidung so angreifbar macht, ist eben diese Grundlage. Bei dieser handelt es sich nämlich „nur“ um eine „politische Willenserklärung im Sinne einer moralischen Selbstverpflichtung“. Die Rückgabe wäre sicherlich auf größere Akzeptanz gestoßen, wenn sie durch eine gesetzliche Regelung gefordert worden wäre, etwa durch § 985 BGB, der den unberechtigten Besitzer einer Sache verpflichtet, bei Verlangen diese an ihren Eigentümer herauszugeben.Die Frage, ob jüdische Sammler oder deren Erben ihr Restitutionsbegehren auf die Vorschrift des § 985 BGB stützen können, stellt die Kernfrage der vorliegenden Untersuchung dar. Daneben werden weitere Fragen untersucht: Hat ein Sammler das Eigentum an einem Kunstwerk dadurch verloren, dass er es etwa in einer sogenannten „Judenauktion“ veräußert hat oder dass es ihm vom Deutschen Reich weggenommen worden ist? Besonderes Augenmerk gilt dabei der in den alliierten Rückerstattungsgesetzen normierten Entziehungsvermutung. Erörtert wird weiterhin, ob ein Eigentumsverlust dadurch eingetreten ist, dass eine dritte Person, an die der Vertragspartner des Sammlers oder das Deutsche Reich das Kunstwerk weiterveräußert hat, das Eigentum daran gutgläubig erworben hat. Schließlich wird untersucht, ob die seit der Entziehung verstrichene Zeit von mehr als einem halben Jahrhundert das Bestehen des Herausgabeanspruchs nach § 985 BGB ausschließt oder seine erfolgreiche Geltendmachung hindert.