Scheinmündig
Unser verdrängter Anteil an der globalen Krise – Ein anthropologischer Beitrag
Dieter Schimang
»Scheinmündig« – was heißt das denn? Die Aufklärung kannte
die Mündigkeit. Doch diese o zielle Mündigkeit ist rein formal
– mit 18 wird sie uns von der Politik zugesprochen: Ohne eigenes
Zutun, ungefragt und ungeprüft sind wir plötzlich mündig. Wodurch
wurde dies erreicht? Waren es Erziehung, Schule, das Leben?
Aber Mündigkeit muss inhaltlich begründet sein: Durch den Mut
und die Fähigkeit, dem eigenen Verstand zu folgen, durch Selbstbestimmung, vor allem durch eigene und soziale Verantwortung.
Mündigkeit ist eine Kompetenz, die erst errungen werden muss.
Unsere Krisen aber zeigen Anderes: In den Köpfen herrscht Unmündigkeit
und Wirklichkeitsverweigerung – schon vor Pegida,
Verschwörungspanik, Corona- und Klima-Leugnung. Entgegen
der negativen Krisen-Erfahrungen spricht die Politik weiterhin alle
BürgerInnen unverdrossen als mündig an. Das überrascht nicht:
Denn Mündigkeit kostet – und sie ist gefährlich: Inhaltliche Mündigkeit
aller ist unvereinbar mit einem Regime des privaten Gewinnstrebens.
Es sind die ökologische und die politische Krise, die
uns jetzt zur Entscheidung zwingen: Wollen wir weiter gehen auf
diesem Weg – oder müssen wir nicht sämtliche Energie und Gewinne
einsetzen für die Mündigkeit aller? Diese Frage wird hier aus
kulturanthropologischer Sicht analysiert und beantwortet.