Silbenreusen – Lagunen – Schwemmland
Neue Gedichte
Harald W. Vetter
Die Silbenreusen fischen gewissermaßen aus dem kollektiven Unbewussten, dem Meer der gemeinsamen Erfahrung, Abenteuer heraus.
KLEINES SEESTÜCK
Mein ausgemustertes Boot
kreuzt immer noch längs
der Küsten und Buchten
Manchmal killt Windzug
die ausgeblichenen Segel
Sie widerspiegeln sich im
Aug des gestrandeten Wals
Die Gedichte haben eine sanfte Handlung als Rückgrat, so dass man sie nicht nur vortragen sondern sogar „Erzählen“ kann. Auch im Layout nehmen sie oft die Pose von Gedichten in Blocksatz ein, während sie im Untergrund als assoziative Prosa voranschreiten.
In der Gegenwartslyrik gibt es das Bonmot, dass alle Vögel, die ausgestorben sind, in einem Gedicht landen, weshalb fast jedes Gedicht die Metapher mit dem Vogel in sich trägt als Zeichen für vergängliche Zeit.
Harald W. Vetter nimmt mit den Hauptbegriffen „Silbenreusen Lagunen Schwemmland“ vielleicht als letzter diese Wörter auf, ehe sie versinken. Sein Gedichte-Kosmos ist fragil, elementar gefährdet und rar. Die Kunst des Zeit-Fischens ist am Aussterben. Wenn kein Köder mehr schmeckt, müssen die Gedichte das Fischen übernehmen. Das lyrische Ich bleibt hellhörig und vorsichtig: „Nur Geduld muss man haben / denn auch jetzt im Rückzug / wächst manches im Aufstand“ . (124)
Helmuth Schönauer 04/10/21