Sittlich sie wieder zu heben…
Das Psychopathinnenheim zu Hadamar zwischen Psychiatrie und Heilpädagogik
Gabriele Kremer
Raffiniert, frech, verdorben – so lauteten die Urteile über die Mädchen, die sich jeder Disziplinierung und Erziehung widersetzten. Die „Goldenen Zwanziger“ verbrachten sie im „Heim für weibliche Psychopathen“ Hadamar, im selben Gebäude, in dem nur wenige Jahre später Tausende den nationalsozialistischen „Euthanasie“-Verbrechen zum Opfer fielen. Mit dem 1920 gegründeten Heim innerhalb der psychiatrischen Anstalt im Westerwald verfolgten die Betreiber ein innovatives Konzept: „Psychopathinnenfürsorge“ als interdisziplinäre Verschränkung von Pädagogik und Psychiatrie. In der Reformeuphorie der Weimarer Zeit erhoben sie den Anspruch, jenen Fürsorgezöglingen zu „helfen“, vor denen alle anderen Erziehungsheime kapituliert hatten. Die Jugendlichen aber erlebten die Anstalt vielfach als „Kerker“ oder „Zuchthaus“, wie wir aus Anstaltsakten wissen – und besonders aus den Briefen der 15- bis 21-jährigen Mädchen an die Familie, die Freundin, den Liebsten: „. hätte ich noch ein halbes Jahr dort verbringen müssen, so wäre ich auch geistesgestört, denn erzogen wird man dort nicht.“.