Sprachliche Konstruktionen nationaler Identität im postsowjetischen Belarus
Nominations- und Metaphernanalyse am Material belarussischer Staats- und Oppositionszeitungen (1990 bis 2001)
Annette Kosakowski
Nach Ansicht vieler Historiker und Politologen beschreitet die Republik Belarus im Vergleich zu anderen postsowjetischen Staaten einen Sonderweg auf der Suche nach einer neuen kollektiven Identität. In einschlägiger Forschungsliteratur ist oftmals von einer Spaltung bzw. einem Kampf einer nationalen Identität auf der einen Seite und einer anationalen, russophil-panslawischen bzw. sowjetischen Identität auf der anderen Seite die Rede. Mithilfe einer linguistischen Diskursanalyse geht die Arbeit der Frage nach, ob und wie sich dieser postulierte Kampf bzw. die „Janus-Köpfigkeit“ der belarussischen Identität auf sprachlich-lexikalischer Ebene manifestieren. In belarussischen Pressetexten (1990 bis 2001) werden Nominationen und Metaphorisierungen analysiert, die sich auf identitätsrelevante Entitäten (belarussische Ingroup und Innenraum, relevante Outgroups, Sprache und Geschichte) beziehen. Die Ergebnisse der empirischen Analyse zeigen, dass die These einer Spaltung in eine nationale und eine anational-sowjetische Identität zu kurz greift.