Stalingrad: Zurück aus der Hölle (Band 3 /3)
Die Ärzte von Stalingrad – Teil 3 (Band 3/3) – 20 Stalingrad-Ärzte berichten vom langsamen Sterben der 6. Armee im Kessel und in der Gefangenschaft
Reinhold Busch
Unter mehreren hundert Ärzten im Kessel von Stalingrad haben dreiundzwanzig Überlebende des Infernos ihre Erlebnisse auf Truppen- und Hauptverbandplätzen sowie in Feldlazaretten im Bereich der 6. Armee beschrieben. Schon lange vor dem Ende schwächen ungeheure Strapazen, Nahrungsmangel und Kälte Gesundheit und Kampfkraft der Soldaten. Ohne Rücksicht auf Zehntausende von unversorgten Verwundeten und Kranken wird von der obersten Führung ein gnadenloser Kampf bis zur letzten Patrone befohlen: Stalingrad ist unter allen Umständen zu halten. Am Ende wird sogar, bar jeglicher menschlicher Erwägungen, der Befehl erlassen, Nahrung nur noch an Kämpfende abzugeben. Die Folgen sind fatal: Eine ganze Armee verhungert; die Soldaten sterben einfach, teilweise ohne Verletzungen, oder setzen Infektionen keinen Widerstand mehr entgegen. Die letzte Woche im Kessel ist eine Apokalypse des Grauens. Zehntausende verdreckter, ausgehungerter, apathischer, hilflos stöhnender und schreiender Verwundeter, Kranker und Erfrierender bevölkern auf Stroh und Lehmböden in hunderten von Kellern die Ruinen der Stadt – ohne Aussicht auf wirkungsvolle Versorgung. Angesichts dieses Elends bleibt vielen Ärzten oft nur als einzige Therapie, seelischen Beistand und Hilfe beim Sterben zu leisten. Alle warten auf das Ende, das am 31. Januar im Süd- und am 2. Februar 1943 im Nordkessel kommt. Nur noch 90 000 zerlumpte, heruntergekommene Soldaten, der elende Rest der einst stolzen 6. Armee, treten den Marsch in sowjetische Kriegsgefangenschaft an. Auf den häufig tagelangen Todesmärschen werden viele, die erschöpft am Rand der Marschkolonnen liegen bleiben, von den Wachmannschaften durch Schüsse von ihren Leiden erlöst. Niemand weiß, ob und wie viele der in den Kellern zurückgelassenen hilflosen Verwundeten und Sterbenden von den Rotarmisten umgebracht wurden. Aber das Schlimmste soll erst noch kommen: Das schreckliche Massensterben in den Todeslagern um Stalingrad herum. Hilflos, ohne Medikamente und ausreichende Lebensmittel müssen die Ärzte zusehen, wie die überlebenden Gefangenen jetzt in den Lagern Seuchen wie Ruhr und Fleckfieber zum Opfer fallen und zu Zehntausenden sterben. Erst im Laufe des Spätsommers 1943 bessert sich die Lage; die überlebenden Gefangenen werden in Lager im Norden Russlands abtransportiert, wo sie sehr langsam wieder zu Kräften kommen. Doch jetzt beginnt eine Periode der politischen Beeinflussung und Drangsalierung, von Verrat und Bespitzelung durch die eigenen Kameraden im Namen des „Antifaschismus“. Trotzdem ist es für die Ärzte eine Zeit ruhiger Tätigkeit in den Arbeitslagern, begleitet von Wohlwollen und Humanität seitens sowjetischer Kollegen und Wachmannschaften. Es kommt zu menschlichen Begegnungen auch mit sowjetischen Zivilisten. Noch einmal geraten viele Ärzte 1949 in eine dramatische Situation: Anstatt wie die Mehrheit der Kriegsgefangenen heimkehren zu dürfen, fallen sie einer Verhaftungswelle zum Opfer und werden zu langjähriger Zwangsarbeit verurteilt, bis die letzten der nur noch 6000 Überlebenden von Stalingrad 1955 durch die Bemühungen Konrad Adenauers freikommen. 23 bewegende Schicksale aus Krieg und Gefangenschaft!