Theorie der auswärtigen Politik
Eugen Fischer-Baling
Unter den Fragen, die im öffentlichen Denken von heute an die Ober fläche drängen, ist die nach der Moral der politischen Macht eine der häufig sten und bedrückendsten. Im Gespräch von Regierung zu Regierung wird das Hervorkehren der Macht, von gelegentlichen Ausbrüchen abgesehen, mit fühlbarer Scheu vermieden und lieber der Wille zum Nichtgebrauch, ja der Wunsch nach Verminderung der Macht aller Mächte durch Abrüstung her vorgehoben. In der Tagespublizistik braucht man sich nur des Schrecks vor der „Politik der Stärke“ in weiten Kreisen und der Verwendung des Wortes in der feindlichen Propaganda zu erinnern, um zu spüren, wie das Phantom der Macht als des bösesten unter den bösen Geistern überall umgeht. Eine Rundfrage bei den Autoren, die als Historiker, Soziologen, Ethiker, reflek tierende Staatsmänner zum Phänomen der Macht Stellung nehmen, würde etwa folgende Auffassungen ergeben: Politische Macht ist ihrem Wesen nach gottwidrig und also böse; politische Macht ist nicht an sich böse, verführt aber zu korruptem und bösem Gebrauch; politische Macht kann bis zu einem gewissen Grad gut sein, im Existenzkampf ist sie überall skrupellos und scheut kein Mittel; politische Macht wäre gut in völliger Selbstlosigkeit zum Wohle anderer, wonach sie, ohne das Ideal freilich je zu erreichen, immer hin streben sollte.