Tradition? Variation? Plagiat?
Motive und ihre Adaption in China
Lena Henningsen, Martin Hoffmann
Rückgriffe auf bereits Bekanntes und dessen Adaption für die Gegenwart sind ein wichtiger Bestanteil der chinesischen Tradition. Die viel zitierte Aussage von Konfuzius, er selbst sei Übermittler der ältesten chinesischen Kultur, nicht etwa Schöpfer von Neuem, verweist auf den grundsätzlichen Vorrang von Überliefertem gegenüber Neugeschaffenem im alten China. Auf dieser Grundlage wurde das wiederholte Aufgreifen traditioneller Motive als Kennzeichen eines grundsätzlich konservativen und innovationsfeindlichen Charakters der chinesischen Kultur interpretiert − bis hin zur Bezeichnung des gegenwärtigen China als Land der Plagiatoren. Diese Sichtweise wird jedoch den vielfältigen Formen, Inhalten, Funktionen und Zielsetzungen der Übernahme und Adaption sowohl traditioneller als auch moderner, populärer und kontroverser Motive in China nicht gerecht: Rückgriffe auf bestimmte Topoi und ihre De- oder Rekontextualisierung dienen in unterschiedlicher Weise der Traditionsbildung, der Legitimation, der Neudefinition oder auch der Vermarktung.
In Tradition? Variation? Plagiat? beleuchten 18 Beiträge die Adaption von Motiven im vormodernen und im modernen China. Sie analysieren die Aneignung von ausländischen Gesetzen, Rechtsvorstellungen und staatlichen Organisationsformen, befassen sich mit der Legitimierung von politischen Positionen über den Rückgriff auf traditionelle Denkweisen, untersuchen die Variation von Motiven in Literatur und Kunst und betrachten das Spannungsverhältnis zwischen Originalität und Imitation in der Wirtschafts- und Konsumkultur sowie die Diskussionen über die Übernahme von fremden Textpassagen und visuellen Darstellungen.