Über die Gesellschaft als Text
Grundzüge einer dogmatischen Anthropologie
Sabine Hackbarth, Pierre Legendre
Als Organisation, die aus der Sprache hervorgeht, spielt die »Gesellschaft« im theoretischen Horizont Pierre Legendres eine besondere Rolle. Gesellschaft ist nicht ein Vertragspartner des Individuums, sondern wie ein Pergament, das nach der oberflächlichen Reinigung immer wieder neu beschrieben wird und als Palimpsest die Spuren des Alten dennoch zu bewahren vermag: Sie bietet jedem Einzelnen einen Raum, eine Bühne, die sein Leben rahmt; sie lässt ein Gebäude sprachlicher Repräsentationen entstehen, das nicht nur aufrecht steht, sondern, wie Legendre mit Verweis auf die antike Architekturtheorie erklärt, vor allem den Anschein erwecken muss, dies zu tun. Dieses Verhältnis von Individuum und Gesellschaft ist unauflöslich, m.a.W. dogmatisch.
Im fünften Band der deutschen Ausgabe seiner Schriften führt Legendre, illustriert durch die Betrachtung europäischer Renaissance-Malerei, nahezu alle relevanten Begriffe seines Denkens in einem anspruchsvollen Text zusammen. Er ermöglicht dem Publikum auf diese Weise einen Einblick in die Voraussetzungen wie in die Konsequenzen seiner Arbeit und lädt es ein, sein Projekt einer »dogmatischen Anthropologie« in seiner ganzen Tragweite zu ermessen.