Über Grenzen.
Kolloquium zum 70. Geburtstag von Wolfgang Graf Vitzthum.
Stefan Talmon
Die Grenze als Ort der Entscheidung faszinierte Wolfgang Graf Vitzthum bereits bei seiner Freiburger Dissertation, die sich mit der Grenze zwischen dem zunehmend »nationalisierten« Festlandsockel und der damals noch »freien« Tiefsee befasste. Im Anschluss an die beiden Geburtstagskolloquien seiner Schüler zu den »Grenzen des Rechts« (2003) und den »Grenzen des Staates« (2008) führt der Band »Über Grenzen«, aus Anlass des 70. Geburtstages von Graf Vitzthum, diese Befassung mit dem Thema »Grenze« – mit Grenzziehung, Grenzverletzung, Grenzüberwindung – nun fort.
Nach einer einführenden Laudatio durch Martin Nettesheim widmet sich der Band dem Völkerrecht. Wolfram Hertel und Alexander Proelß führen Graf Vitzthums Studien im Bereich des besonders grenzsensiblen Seerechts fort, ersterer im Hinblick auf ungeklärte Grenzen zwischen Deutschland und den Niederlanden in der Nordsee, letzterer bezüglich der Zuständigkeitsgrenzen der EU-Organe im Bereich der Bekämpfung und Verhinderung schiffsverursachter Meeresverschmutzung. Jörn Axel Kämmerer beschreibt, anknüpfend an die völkerrechtshistorischen Arbeiten des Jubilars, die fortbestehende völkerrechtliche Bedeutung ehemaliger »kolonialvölkerrechtlicher« Grenzziehungen. In den staatsrechtlichen Beiträgen untersucht Stefan Talmon die Grenzen der »grenzenlosen« Offenheit des Grundgesetzes, während Martin Nettesheim die Legitimitätsgrenzen der EU-Rechtspolitik am Beispiel der Euro-Rettungspolitik kartiert. Im dritten, die Grenzen von Recht und (Wirtschafts-)Politik überschreitenden Themenkreis untersucht Philipp Molsberger die »Grenzen und Chancen« des Rechtsstaatsdialogs zwischen Deutschland und China. Von einem »Rechtsstaatsdialog« ganz anderer Art handelt der Beitrag von Andreas Pohlmann über »Compliance-Management in grenzüberschreitend operierenden Unternehmen«. Der Band wird abgerundet durch ein Graf Vitzthum gewidmetes Gedicht des Berliner Autors Uwe Kolbe sowie den Essay »George über Grenzen«, eine Auseinandersetzung des Jubilars, im Horizont seiner »law and literature«-Interessen, mit den ambivalenten staats- und gesellschaftspolitischen Auffassungen des Dichters Stefan George.