… und morgen ist die Nacht vorbei
Das KOMA und nach dem KOMA alles noch einmal lernen · [Medizinische Erläuterungen und das Protokoll der Übungen für Wahrnehmung, Sprache und Gedächtnis dokumentiert für Menschen ähnlichen Schicksals]
Monika Murg, Sigrid Wilheim
Als Anknüpfungspunkt eine kurze Skizze des Ereignisses, das mein Leben endgültig verändert hat. Mein Mann, Rechtsanwalt von Beruf und zu diesem Zeitpunkt sechsundfünfzig Jahre alt, hatte beim Tennisspielen einen Herzstillstand, er wurde reanimiert. Doch erst nach mindestens zwölf, wahrscheinlich sogar erst nach achtzehn Minuten begann sein Herz wieder zu schlagen. Er hatte keinen Atem, keine Reflexe, die Prognose wurde dementsprechend düster gestellt. Er war in einem Schwebezustand, und es bestand die Gefahr, dass er für immer versank.
Ich wagte es nicht, einen Arzt zu fragen, was ich tun könnte. Ich fürchtete mich vor dem Fachwissen, das zwar das Ausmaß des Gehirnschadens exakt feststellen kann, aber keinen Platz für Hoffen und Träumen lässt. Ich wurde immer auf das Argument der „realistischen Einschätzung“ der Sachlage zurückgeworfen. Zitat: „Sie müssen das schon realistisch sehen.“
So ein Ereignis kann man nur zwischen Hoffen und Bangen wahrnehmen, niemals kann man eine so schlagartig veränderte Situation realistisch sehen. Alle meine Zukunftsphantasien waren schrecklich.
Als Lehrerin dachte ich mir, das Gehirn ist lernfähig. Lernen ist die Vollendung des Gehirns. Die noch funktionstüchtigen Zellen müssten diese Eigenschaften noch besitzen.
Und so begann ich bereits in der Intensivstation auf ihn einzuwirken. Als Jahre später Monika zu mir sagte: „Das, was Sie da mit ihrem Mann gemacht haben, gehört unbedingt dokumentiert.“ habe ich mich sehr gefreut. Schon früher hatten mich befreundete Ärzte angeregt, doch aufzuschreiben, was ich mache, aber ich hatte weder Energie noch Kraft die Übungen zu dokumentieren.
Monika ist sehr jung und kann sich dem Leiden und der Verzweiflung der Angehörigen nicht entziehen, sie meinte, damit könnte man Angehörigen, die in der Therapie eine Funktion einnehmen möchten, konkrete Hilfe anbieten. Diese Dokumentation mit ihr macht mir große Freude, letztendlich erzähle ich auch von meinem Beruf, denn auch da ging es um Sprache, Zählen, Rechnen und Unterscheiden lernen. Außerdem ist ein großes Stück wirkliches Leben zurück gekehrt in der Form, dass ich mit einem Menschen arbeiten, nachdenken, verwerfen und auch lachen kann und es doch gleichzeitig nicht eine Flucht vor meinem Leben, sondern ein Ausdruck meines neuen Lebens ist.
Die Auseinandersetzung mit der Erkrankung meines Mannes und die Erstellung eines Therapiekonzeptes, wobei ich viel Literatur lesen musste, war für mich eine Möglichkeit, diese Situation zu bewältigen.
Als ich mit meinem Mann zu arbeiten begonnen habe, konnte er weder reden, lesen noch schreiben und nichts mehr benennen. Der Fortschritt war so langsam, dass ich ihn kaum bemerkte. Aber wenn ich zurückschaue, bemerke ich wohl, dass wir einen langen Weg gegangen sind und uns vom Zustand am Beginn doch weit entfernt haben.
(, Angehörige und Lehrerin, im Vorwort)