Unter Iren
Mein irisches Tagebuch 1963/64
Thomas Lennert
Die Gründe, warum ich mir die kleine irische Universität Galway für ein Auslandssemester Medizin 1963 aussuchte, waren durchaus zweifelhaft. Irische Freunde behaupteten, es hätte etwas mit einem steckengebliebenen Aufzug in Dublin zu tun gehabt. Es könnte aber auch daran gelegen haben, dass dem Präsidenten des University College Galway der National University of Ireland in den Semesterferien keine Schreibkräfte zur Verfügung standen. Wie auch immer, es wurde ein voller Erfolg. Nicht nur lernte ich die traumhaft schöne irische Westküste kennen, ich fand auch heraus, dass irische Hühner besser bekocht werden als irische Menschen. Dafür genoss ich reichlich das irische Bier. Und Theater, Literatur und ‘ballad singers‘ in O’Donoghue’s Kneipe in Dublin, wo die ‘Dubliners‘ gerade ihren Anfang nahmen. Ich habe gelernt, dass die bösen schwarzen englischen Ratten niemals ihren Fuß auf heiligen irischen Boden setzen durften und dass die irische Marine die einzige Marine der Welt ist, in der die Matrosen zum Mittagessen mit dem Fahrrad nach Hause fahren dürfen.- Ich erlebte die tiefe Trauer, die über dem Land lag als der geliebte Sohn von Mutter Irland, John F. Kennedy, ermordet wurde. Ein knappes halbes Jahr vorher hatte er noch auf dem Marktplatz von Galway eine berühmte Rede gehalten.
Medizin habe ich übrigens auch gelernt, vor allem die Leiden von alten Fischersfrauen von den Aran-Inseln, die man immer nur mittwochs und samstags aus dem Krankenhaus entlassen durfte, weil an anderen Tagen der Dampfer nicht fuhr. Habe ich überhaupt schon die irischen Mädchen erwähnt?…
Kurz, es war mein schönstes Studiensemester!