Versöhnung und System
Zu Grundmotiven von Hegels praktischer Philosophie
Erzsébet Rózsa
‚Versöhnung‘ ist ein Begriff Hegels, dem er in seiner praktischen Philosophie einen besonderen Stellenwert eingeräumt hat. Die Versöhnung ist vor allem durch ihre politisch-affirmative bzw. spekulativ-systematische Bedeutung bekannt und (teilweise) verkannt worden. Und sie ist in der Tat in der Doppelperspektive von Hegels praktischer Philosophie auszulegen. Sie ist einerseits ein Strukturierungsprinzip, in dem die höchste spekulative Position, die Auflösung der Gegensätze zum Ausdruck gebracht wird. Wenn man aber nur diese Dimension der Versöhnung im Auge hat, läßt man Hegels Gedanken über die Versöhnung als Verhaltensmuster unberücksichtigt, in dem die lebensweltliche und existentielle Problematik des modernen Menschen zum Ausdruck kommt. Das gute Leben als sinnvolles Leben des modernen Menschen stellt die praktische Einstellung dar, worin die ‚vernünftige Einsicht‘ und ‚Stellung zur Wirklichkeit‘ als Ecksteine einer angemessenen Lebensform aufgefasst werden. Aber Hegel verweist auch auf die Grenzen der Versöhnung und zeigt die Entleerung der Versöhnung als Strukturprinzip der spekulativen Philosophie auf. In der vorliegenden Arbeit wird der Frage nachgegangen, wie sich die systematische bzw. die kulturelle Perspektive von Hegels praktischer Philosophie aufeinander beziehen. Die Frage führt damit über das Thema der Versöhnung hinaus und schließt sich an die aktuellen Diskussionen über die praktische Philosophie vor allem im Neopragmatismus an.