Verstaatlichte Sittlichkeit
Die konservative Konstruktion der Lebenswelt in Wilhelm Heinrich Riehls ‚Naturgeschichte des Volkes‘
Friedhelm Lövenich
Die intellektuellen Verfallszeiten überholter, aber im politischen Raum und gesellschaftlichen Bewußtsein noch strahlender Traditionen sind offenbar lang und bedrohen Generationen; die aus der Vergangenheit mit Energie versorgte Strahlkraft solchen Geschichtsmülls wird ausgelöst durch die Irritation der modernen Gegenwart. Der Konservatismus setzt nicht, wie der Sozialismus, auf die Hoffnung der Unterdrückten auf ein besseres Leben, auf die Vision und Utopie, sondern auf das Leiden an der Moderne, auf den oft unbewußten Schmerz der durch die Moderne Verletzten, die sich nach ihrer scheinbaren traditionellen Unmiuelbarkeitzurücksehnen; denn der Schein von Unmittelbar keit integriert gründlicher und umfassender als die Aufforderung zur Reflexion. Die konservative wie die sozialistische Kritik am Liberalismus und seiner Gesellschaftstheorie ist Resultat einer permanenten weil strukturellen Krise der bürgerlichen Gesellschaft selbst (vgl. Pankoke 1969: 9); die daraus aufkonser vativer Seite resultierenden ’neuen‘ konservativen ’sozialen Theorien‘ haben daher den typischen Charakterzug, zugleich Ausdruck einer Krise und Versuch einer Lösung durch Kritik und Entwurf zu sein, haben also Symptomcharakter. Riehls konservative Gesellschaftstheorie ist ein solches Symptom und wird hier so ‚ gelesen‘; an hand von Riehls Theorie wird ein prominentes und immer noch gültiges Muster konservativer Vergesellschaftung dargestellt. Die Analyse sei ner Schriften ist eine ‚Falldarstellung‘ für die Theorie bürgerlicher Integration, und daher immer auch ’nur‘ ein Beispiel, ein zugleich typischer und origineller, individueller ‚Fall‘.