Villa Zissu – ein Haus der Moderne in Grunewald
Baugeschichte, Nutzungswandel, Lebenswege
Heidede Dr. Becker
Mit der Villa Zissu entstand 1928/29 als Teil der städtebaulichen Ergänzung zur Villenkolonie Grunewald ein architektonisch bemerkenswertes Haus der gemäßigten Moderne. Der jüdische Architekt Michael Rachlis – in den 1920er-Jahren überaus erfolgreich sowie in Künstler- und Architektenkreisen gut integriert – hat dieses Gebäude für den rumänischen Industriellen, Publizisten und Zionisten Avram Leib Zissu und dessen Familie aus Bukarest entworfen. Auf nahezu quadratischem Grundriss präsentiert sich die Villa unaufgeregt und dennoch prägnant im Straßenraum.
In zeitgenössischen Texten zur Villa Zissu wurden besonders die Qualitäten der Innenausstattung gewürdigt: die raffinierten Raumlösungen, auch Luxus, Eleganz und Erlesenheit der Materialien sowie deren kunstvolle Verarbeitung. Kommentare zur Architektur bezogen sich auf die „vollendete Logik“ der Anlage von Gebäude und dem zum Hundekehlesee stark abfallenden Grundstück – so der Kunstkritiker Max Osborn – sowie auf die durch ein riesiges elektrisch versenkbares Fenster geschaffene schwellenlose Beziehung zwischen Innen- und Außenraum.
Der „Quellenwert“ der Geschichte von Häusern ist hoch; dies zeigt sich an der Villa Zissu einmal mehr und in besonderem Maße. Tatsächlich erschließt sich aus der künstlerischen Aufbruchstimmung der 1920er-Jahre, aus den Lebenswegen des Bauherrn (einer zentralen Gestalt der zionistischen Bewegung mit Lebensstationen in Bukarest und Berlin sowie spätem Exil in Tel Aviv) und des Architekten (in Moskau geboren, Studium in Kiew und München, Architekturbüro in Berlin und Exil in London) sowie aus den sich wandelnden Nutzungen der Villa (ursprünglich repräsentatives Wohnhaus, nach 1945 Quartier der britischen Besatzungsmacht und Residenz des niederländischen Generalkonsulats, dann Mehrparteienwohnhaus und heute wieder Familiendomizil) ein breites zeitgeschichtliches Spektrum.