Vom Scheitern eines anberaumten Massenmordes
Bulgarien 1934-1944
Anna Tüne
Sucht man nach Beispielen von „Best Practice“ in der Geschichte kommt man um Bulgarien in den 30er und 40er Jahren nicht herum.
Über die Vorgeschichte und die Abläufe des hier thematisierten Rettungswiderstandes wird in einer kleinen Wanderausstellung berichtet. Die Ausstellung wird begleitet werden von einem Katalog, der hilfreich dabei sein wird das Thema zu vertiefen.
Bulgarien bindet sich früh Schritt für Schritt durch eine Vielfalt bulgarisch-deutscher Verträge in die verbrecherische Politik Nazideutschlands ein. Darunter befindet sich auch ein Abkommen, das die Deportation sowohl der jüdischen Bulgaren als auch der sich in Bulgarien aufhaltenden ausländischen Juden in die Vernichtungslager in Polen vorsieht. Dies gründet in einer der politischen Grundströmungen die Bulgarien bis an den Rand der totalen Katastrophe führen wird: Die Bereitschaft, sich für die ersehnte nationale Einheit der Schlagkraft Nazideutschlands zu versichern und sich dazu mit den finstersten Kräften der damaligen Welt zu verbünden. Diese Kollaboration greift sehr weit: bulgarische Armeeverbände, Behörden und Polizeikräfte folgen den Invasoren der Wehrmacht in die Nachbarländer, so in Thrakien (griechisches Staatsgebiet) und in Mazedonien (jugoslawisches Staatsgebiet). Im Einverständnis mit den Invasoren annektiert Bulgarien faktisch diese Gebiete, die nunmehr voll und ganz unter seiner Verwaltung stehen. Im Gegensatz zu den anderen Bevölkerungsgruppen dieser Gebiete wird den dortigen Juden eine Übernahme in die bulgarische Staatsangehörigkeit verwehrt. Dies macht sie zu vollends rechtlosen, weil staatenlosen Menschen. Danach setzt die bulgarische Besatzungsmacht die Deportation aller dort lebenden Juden nach Auschwitz und Treblinka um, den designierten Orten des Massenmordes. Nur 5% dieser Deportierten überleben. Die finstere Entschlossenheit mit der die mit Hitler-Deutschland vereinbarten Pläne umgesetzt wurden, macht die Mitverantwortung Bulgariens und seines Souveräns unabweisbar.
Auch innerhalb der regelrechten bulgarischen Grenzen (Alt-Bulgarien) verlangt diese Kollaboration ihren mörderischen Tribut. Ab 1943, nach ihrer umfassenden Entrechtung und Verfolgung spitzt sich die Situation der Juden noch einmal hochdramatisch zu. Man tritt nun in die hochakute Phase der Genozid-Pläne für das Kernland ein. Jedoch, obwohl alles getan wird was sich in vielen anderen Ländern bislang „bewährt“ hatte, ist die Realisierung dieser Pläne in Bulgarien letztendlich nicht durchsetzbar: der alt-bulgarischen Zivilgesellschaft gelingt es tatsächlich, in letzter Minute jegliche Deportationen zu verhindern. Dieser Rettungswiderstand zeichnet sich durch seine gesellschaftliche Vielfalt und eines sich massiv manifestierenden menschlichen Engagements aus. Es greifen darin ein: Vertreter des Parlaments und des Außenministeriums (die nicht aufhören Transitvisen auszustellen), die orthodoxe Kirche mit ihren großartigen Wortmeldungen und ihrer unerschütterlichen Standhaftigkeit, viele Verbände wie Juristen- und Ärzteverbände, Schriftsteller- und Künstlervereinigungen. Ebenso wichtig sind die Aktionen und die konkrete Hilfe an der Basis vieler in die Illegalität gedrängter Parteien, Gewerkschaften und Institutionen, ebenso wie die Solidarität „normaler“ Bürgerinnen und Bürger. Wir finden in der gesamten Geschichte Europas nichts Vergleichbares und dies macht die relative Unsichtbarkeit dieses großartigen Kapitels aktiver und erfolgreicher Humanität im historischen Bewusstsein Europas so wenig nachvollziehbar und so schrecklich unangemessen. Es starben auch Juden in dieser Zeit in Bulgarien: als aktive Mitglieder des Widerstands. Nur weil sie Juden waren kamen aber in Alt-Bulgarien keine Juden um und wurden auch nicht deportiert. So kam es, dass nach dem Ende der Shoah die jüdische Gemeinschaft Bulgariens die einzige war, die zahlreicher war als vor der Shoah.
Die Wanderausstellung und ihre Begleitbroschüre „ Vom Scheitern eines anberaumten Massenmordes – Bulgarien 1934 – 1944“ wurden realisiert als drittes Teilprojekt der Reihe „Topographien der Menschlichkeit“ des Vereins Courage gegen Fremdenhass e.V. Die Reihe ist der Fähigkeit der Menschen gewidmet ist, sich auf die „richtige“ Seite zu stellen, die Seite der Geschwisterlichkeit aller Menschen.