Von Bürgermeistern und Affären
Die Wiener Vorortegemeinden Ober und Unter St. Veit 1848–1891
Gebhard Klötzl
Die Entstehung Wiens war ein spannender und über 1000 Jahre währender Prozess, der von einem komplexen Herrschafts- und Machtgeflecht in nahezu undurchschaubarer Weise vorangetrieben wurde. Der Weg von der feudalen Herrschaftsstruktur zur demokratisch legitimierten Verwaltung führte über eine bemerkenswerte Episode der Selbstständigkeit der einstigen Vorortegemeinden Wiens: Nach dem Revolutionsjahr 1848 und dem Ende der Grundherrschaft gab das provisorische Gemeindegesetz 1849 diesen Gemeinden eine völlig neue Konstitution und eine Eigenständigkeit, die weit über die bisherigen Rechte und Pflichten eines Ortsrichters und seiner Geschworenen hinausging. Die neuen Bürgermeister und Gemeindeausschüsse waren einerseits durchaus volksnahe, andererseits mussten sie noch nie da gewesene Aufgaben und Situationen bewältigen, und die Folgen sind auch im heutigen politischen Leben nicht unbekannt: Überforderung, Eitelkeiten, Machtmissbrauch, bedrohliche Budgetdefizite und ihre notdürftige Finanzierung durch Versilberung des Gemeindevermögens. Die neue Selbstständigkeit war enorm, aber nur von kurzer Dauer, denn 1891 wurden nahezu alle Vorortegemeinden gegen ihren Willen mit der Stadt Wien vereinigt.
Mit dem vorliegenden Buch wird nun eine dieser politischen Kleinwelten in einzigartiger Gründlichkeit porträtiert. Ein Schwerpunkt liegt auf strukturellen Dingen wie der Konstituierung als Gemeinde, den Wahlen der Gemeindeausschüsse, der Arbeitsweise der Gemeindeverwaltung und der Stellung des Bürgermeisters inkl. des vom Staat vorgegebenen politischen Handlungsrahmens. Das gewählte Beispiel Ober- und Unter St. Veit bietet über die allgemeingültigen Vorgänge hinaus die Besonderheit einer Ortszusammenlegung samt neuerlicher Trennung, und zwar mit allen Facetten, die schillernde Persönlichkeiten dazu beitragen können. Der andere Schwerpunkt des Buches stellt die soziale Buntheit des Lebens dar. Es treten die verschiedensten Typen auf, vom grantelnden Postmeister über den disziplinlosen, trunksüchtigen Feuerwehrhauptmann bis zu dem in Hehlereien verstrickten „Sicherheitskommissär“. Die hier erstmals veröffentlichten Anekdoten haben einen köstlichen Unterhaltungswert. Damit kommen sowohl Historiker, denen über 1000 Fußnoten den Weg zu den Quellen dieses Buches weisen, als auch Belletristiker auf ihre Rechnung.