Vorlesungen über Minimalflächen
J.C.C. Nitsche
Seit den Anfängen der Theorie der Minimalflächen vor mehr als zwei Jahrhunderten sind viele große Geister aller Epochen von ihrem Reize fasziniert worden. Diese Anziehungskraft liegt nicht nur in dem geome trischen Gehalt der Theorie und in ihren inspirierenden Einwirkungen auf die Entwicklung mathematischen Gedankenguts begründet, sie er klärt sich auch durch die in der Mathematik wohl nur selten erreichte Vielschichtigkeit, mit welcher in ihr sowohl experimenteller Augenschein und die Verfolgung konkreter Einzelprobleme als auch die fortschrei tende Abstraktion ursprünglich anschaulicher Begriffe und die Durch schlagskraft allgemein anwendbarer Methoden erfolgreich zum Tragen kommen. Es bestehen innige Zusammenhänge mit der lokalen und glo balen Differentialgeometrie, mit der Funktionentheorie, der Variations rechnung und der Theorie partieller Differentialgleichungen und zugleich fruchtbare Beziehungen zu vielen mathematischen Gebieten, so etwa zur Topologie, zur Maßtheorie und zur algebraischen Geometrie. Auch der Forscher in anderen Disziplinen, beispielsweise in der Elastizitäts theorie, der Strömungslehre und in allen Gebieten, bei denen die Er scheinung der Kapillarität eine Rolle spielt, wird von seiner Vertrautheit mit Minimalflächen profitieren. Vor allem aber handelt es sich um eine ästhetisch vollkommene Materie. Mit Ausnahme einiger spärlich gehaltenen Andeutungen befaßt sich die vorliegende Monographie ausschließlich mit zweidimensionalen reellen Parameterflächen im dreidimensionalen Euklidischen Raum. Eine solche Begrenzung schien aus Platzgründen und im Hinblick auf den Wunsch nach Stoffeinheitlichkeit unerläßlich. Der Kritiker kann hier freilich jedes Wort als lästige Einschränkung empfinden, wird aber hoffentlich zugestehen, daß die schönsten Perlen der Theorie dennoch in Erscheinung treten.