Zur Bestimmtheit des Handlungsunwerts von Fahrlässigkeitsdelikten
Gunnar Duttge
Noch immer liegt der eigentliche Sinngehalt des strafrechtlich relevanten Fahrlässigkeitsbegriffs im Dunkeln. Festzustellen ist vielmehr ein ‚verwirrender Streitstand‘, den die Strafrechtsdogmatik bisher noch nicht in eine auch nur einigermaßen zufriedenstellende Konzeption auflösen konnte. Für die Rechtsanwendung bringt dies schwerwiegende Unsicherheiten mit sich, weil auf der Basis höchst substanzarmer Generalklauseln wie ‚Sorgfaltspflichtverletzung‘, ‚Überschreiten des erlaubten Risikos‘ oder ‚Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung‘ ein jeder auf sich selbst verwiesen bleibt, letztlich die jeweils maßgebliche Sorgfaltsregel zu bilden. Gerade für den Fahrlässigkeitsbegriff, der die untere Grenze der Strafbarkeit markiert, läßt sich ein solcher Befund nicht hinnehmen. Schließlich ist den rechtsunterworfenen Bürgern durch das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG (§ 1 StGB) die nötige Voraussehbarkeit der Rechtslage garantiert, damit das Verhalten hiernach eingerichtet und insbesondere das Risiko einer Bestrafung gemieden werden kann. Gunnar Duttge zeigt, daß das Bestimmtheitsgebot auch für den Bereich strafbarer Fahrlässigkeit einen realistischen Anspruch postuliert. Im Wege einer eingehenden Analyse der Rechtsprechung filtert er als Kern jeder strafrechtlich relevanten Fahrlässigkeit ein sogenanntes ‚Veranlassungsmoment‘ heraus, das er mit Hilfe kognitionspsychologischer Erkenntnisse durch ein ‚fahrlässigkeitsspezifisches Merkmalsprofil‘ präzisiert und so für die Rechtsanwendung handhabbar macht. Am Ende steht ein völlig neuartiges Modell strafbarer Fahrlässigkeit, das sich einerseits mit den vermehrt erhobenen Forderungen nach einer Entkriminalisierung selbst der mittleren Fahrlässigkeit trifft. Andererseits bietet es der Rechtspraxis wertvolle Entscheidungshilfen, wenn die fundamentale Grenze zwischen bloßem Unglück und strafbarem Unrecht in Frage steht.