Zweistimmige Kunstgeschichte
Maria Oriskova
Wahrscheinlich war die erste, aber auch wichtigste Voraussetzung für die Entstehung dieser Arbeit die entscheidende politische Änderung: der Zerfall des kommunistischen Imperiums im Jahre 1989. Allmählich im Ablauf der letzten mehr als zehn Jahre sind mehrere Fragen aufgetaucht, die im Zusammenhang mit der sogenannten Ostkunst stehen. Heute können wir mindestens über zwei grundsätzliche Problemkreise sprechen. Der erste ist die Terminologie, die Sache der Benennung der Ostkunst, ihre politische und territoriale Gliederung und Periodisierung und infolgedessen die offizielle, staatliche und die inoffizielle oder alternative Kunst zu differenzieren. Der zweite Problempunkt ist die Stellung der Ostblockkunst im Rahmen der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts oder nach dem zweiten Weltkrieg. Obwohl sich die heutige Lage beträchtlich von der Lage nach der Wende am Ende der achtziger Jahre unterscheidet, herrschen doch über die Kunst des ehemaligen Ostblocks simplifizierte Vorstellungen im Sinne der Kunst hinter dem eisernen Vorhang, wo nach dem zweiten Weltkrieg eigentlich keine moderne Kunst existieren konnte. Abgesehen von dieser ziemlich radikalen Vorstellung gibt es auch eine Ansicht über die Ostkunst an der Peripherie mit ihren verschiedenen kuriosen regionalen Besonderheiten, über die Kunst, die die Entwicklung in den Zentren Paris und New York nur nachzuholen bemüht war und für die große Geschichte der Kunst westlicher Provenienz nichts Relevantes beitragen konnte. Beide Ansichten sind übertrieben und das ganze Problem ist viel komplizierter und vielschichtiger. Eine ganze Reihe von Fragen können wir nicht nur in Richtung nach innen – zur Selbstreflexion und Re-Evaluierung der lokalen Kunstgeschichte – stellen, sondern auch in Richtung der Geschichte der Kunst des Westens, die diese Kunst aus ihrem Rahmen ausgeschlossen hat.